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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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…«
    »Moment«, unterbrach Sean sie. »Bevor wir zu ihm kommen: Wenn sich diese Sheila so sicher ist, warum hat sie dann bisher nie etwas gesagt?«
    Francesca lehnte sich zurück. »Hat sie doch.« Sie tippte wieder mit dem Stift an den Bildschirm. »Sie hat Sid Hayles Bescheid gesagt, weil sie hoffte, der Mercury würde sich für die gute Sache einsetzen. Plötzlich wurde sie wegen Verdachts aufVerstoß gegen die Schweigepflicht vom Dienst suspendiert. Das hat ihre Karriere zerstört. Niemand wollte sie wieder einstellen. Und dazu kamen noch die bösen Blicke und Gerüchte, die Frauen wie meine liebe Sekretärin verbreiteten …«
    Sean sah sich wieder das Foto an, die Gesichter der alten Männer, deren Falten und Flecken von langer Bruderschaft und miteinander verwobenen Geschichten sprachen.
    Die respektierten, hoch angesehenen Mitglieder unserer kleinen Küstenstadt …
    »Sheilas Aussage allein hatte beim ersten Antrag Ihrer Auftraggeberin anscheinend noch nicht ausgereicht«, setzte Francesca fort. »Auf den Rat führender Experten wie Corrines derzeitigem Arzt Robert Radcliffe wies der Home Secretary sie mit der Begründung ab, es gebe nicht genügend neue Beweise, und es liege nicht im öffentlichen Interesse, den Fall neu aufzurollen. Aber, wie Sie selbst wissen, steckte die DNA-Technologie damals noch in den Kinderschuhen, und die National Database wurde erst 1995 eingerichtet. Diesmal müssten die dem Antrag eigentlich stattgeben.«
    Francesca warf dem Bild noch einen letzten bösen Blick zu, schloss und löschte es und leerte den Papierkorb, bevor sie den Computer herunterfuhr.
    »Heutzutage dürften Sheilas Unterlagen eine solide Grundlage für Ms Mathers’ Vorhaben bilden. Und als Zeichen ihres großen Vertrauens in unsere Fähigkeiten« – Francesca ging an ihren Schreibtisch und öffnete ihre Aktentasche – »hat Sheila uns beiden einen Ausdruck zur Verfügung gestellt.«
    Sie hielt Sean eine dicke Aktenmappe entgegen. Er blieb sitzen.
    »Sie nehmen die Sache persönlich, oder?«, fragte er.
    Ihre Pupillen weiteten sich einen Augenblick. Sie legte die Mappe auf den Tisch.
    »Ja«, erwiderte sie. »Natürlich nehme ich die Sache persönlich.«
    Ihr Blick durchbohrte ihn, und einen Augenblick glaubte er,sie würde in Tränen ausbrechen. Dann schob sie sich die Haare aus dem Gesicht und stützte die Hände in die Hüften. »Ich weiß, wir lehnen uns hier nicht gegen die mächtigsten Männer der Welt auf«, sagte sie leise. »Aber das Prinzip ist das gleiche. Hier ist ein Unrecht geschehen, und wir können es vielleicht wieder ausbügeln. Wahrscheinlich haben wir nur die eine Chance.«
    Sean starrte sie an und fragte sich wieder, was wohl mit ihr passiert war. War sie bei einer überregionalen Zeitung rausgeflogen, weil sie sich gegen ihren Chefredakteur aufgelehnt oder etwas herausgefunden hatte, was hätte geheim bleiben sollen? Leckte sie hier ihre Wunden und arbeitete an einem Comeback mit einer Story, die niemanden kalt lassen konnte? War er nur ein kleiner Teil ihres Plans?
    »Mir müssen Sie nicht erzählen, was auf der Fleet Street alles läuft«, sagte er. »Aber warum wollen sie so schnell wieder dahin zurück?«
    Ihre Züge hellten sich langsam auf, und sie lachte leise.
    »Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem Sie als Detektiv arbeiten«, erwiderte sie.
    Sean hob die Hände. »Ist gut. Mea culpa .« Auch er grinste und lachte unwillkürlich. Er konnte nicht anders. Er mochte sie.
    Er stand auf und nahm ihr die Mappe ab. Erst hinterher fiel ihm auf, dass er dabei gar keine Schmerzen gespürt hatte.
    »Alles klar, Partner«, sagte sie wieder in ihrer Mae-West-Stimme. »Hast du schon was gegessen?«
    »Seit dem Mittag nicht mehr. Und da hab ich kaum einen Bissen runtergekriegt.«
    Francesca warf einen Blick auf die Uhr und griff zum Telefon. »Tja, es wird zwar langsam spät, aber Keri macht uns bestimmt noch schnell ein paar Reste warm. Wie wär’s?«
    Sean nickte. »Wahrscheinlich findet man in Keris Mülltonnen noch besseres Essen als in den anderen Läden hier. Wenn er für uns ein bisschen wühlt, bin ich dabei.«
    *
    Als Len Rivett wieder in den Wagen stieg, fuhr ihm ein stechender Schmerz durchs Knie. Die verdammte Arthritis meldete sich wieder. Alt werden war wirklich nichts für ihn. Er startete den Motor, grüßte den Sicherheitsmann und fuhr hinaus auf die Uferstraße. Er musste wieder den ganzen Weg runterfahren, wollte vorher aber kurz noch Nelson einen Besuch abstatten.

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