Opfere dich
irgendwer das Abkommen der Presse untereinander irgendwann brechen würde? Die Quote ließ alle Hemmungen über kurz oder lang schmelzen. Mit Skandalen war Geld zu scheffeln. Wie 1997 beim tödlichen Unfall von Lady Di und Dodi Al-Fayed in Paris. Am Anfang waren sich alle Pressevertreter einig gewesen, die Bilder nicht zu zeigen. Dann tat es doch einer, und alle zogen nach. So würde es nun auch mit der Aufzeichnung von Megans Folterung und Vergewaltigung sein. Der Damm war gebrochen. Ob CNN der Auslöser war, wusste Storm nicht. Im Grunde war es auch egal. Selbst eine richterliche Verfügung würde jetzt wenig nutzen, denn die Ausstrahlung konnte nicht rückgängig gemacht werden.
Moon, die mittlerweile den Mut aufgebracht hatte, am Fressnapf sitzen zu bleiben und nicht jedes Bröckchen wegzuschaffen und in sicherer Entfernung zu Storm zu fressen, war durch das Klingeln irritiert. Ängstlich schaute sich das Kätzchen um. Es fraß nicht weiter.
Storm zappte durch die Kanäle. Megan war überall. Und sie auch. Die drei größten Nachrichtensender ABC, CBS und NBC berichteten permanent, während kleinere wie Fox News ihr Programm weitersendeten, jedoch ein Newsticker, der am unteren Rand lief, hielt die Zuschauer auf dem Laufenden. Ein beliebtes Standbild war das von Storms eingeritztem Namen auf Megans Oberkörper. Die TV-Sender zeigten danach meist ein Foto von Storm und dann wieder von Megans panisch aufgerissenen Augen, die herangezoomt wurden.
Fröstelnd schloss Storm den Reißverschluss ihrer Freizeitjacke. Wieder fühlte sie sich schuldig, als würde sie die Schuld an Megans Cropps ’ Qual tragen.
Das Telefon hörte nun auf zu klingeln, begann aber gleich darauf von neuem. Aufgebracht sprang Storm vom Sofa auf, lief in die Diele und zog das Kabel der Ladestation aus der Telefonbuchse. Augenblicklich verstummte das Klingeln. Storm hätte sich erleichtert entspannt, wäre da nicht die Stimme des Nachrichtensprechers gewesen, der die Frage in den Raum stellte, ob Megan Cropps nur leiden musste, um Storm Harper dazu zu bringen, sich dem Wachsmörder zu stellen.
Auf einmal blitzte es. Storm flog herum. Wieder blitzte es, gleich dreimal hintereinander. Im ersten Moment war sie geblendet, dann erkannte sie, dass ein Reporter in ihrem Vorgarten stand und sie durch das Küchenfenster hindurch fotografierte. Verärgert eilte sie zum Fenster und schloss ihre Jalousien. Sie sah gerade noch, dass die beiden Officer, die zu ihrem Schutz abgestellt worden waren, den Reporter packten und vom Grundstück zerrten.
Storm rannte wie ein aufgeschrecktes Huhn durch alle Räume und ließ die Jalousien herunter. Schließlich stand sie in ihrem Schlafzimmer, in der Finsternis und zitterte am ganzen Körper.
Moon miaute kläglich. Storm ging zu ihr zurück, und das Kätzchen verstummte, als wäre es froh, sie zu sehen.
Sie setzte sich. Wie gebannt schaute sie auf den Bildschirm und konnte es nicht fassen, dass die Medien so abgebrüht waren und die gesamte Aufzeichnung zeigten. Immer wieder, auf allen Kanälen. Sie analysierten jedes Detail. Manch ein Experte, den die Sender befragten, behauptete sogar zwischen den Zeilen, dass er allein aufgrund des Videos in der Lage wäre, den Serienkiller zu fassen und warum das PD es noch nicht geschafft hätte. Ein Außenreporter befragte Passanten in der Einkaufsstraße von Downtown Fort Twistdale, was sie von dem Deal des Wachsmörders hielten.
„Man kann von niemandem verlangen, dass er sich freiwillig dieser Bestie ausliefert“, sagte eine ältere Dame mit schlohweißem Haar. „Das wäre unmenschlich. Wenn wir das von Ms. Harper verlangen würden, wären wir nicht besser als der Killer.“
„Gott segne die Opfer – und Storm Harper. Sie kann Gottes Segen jetzt gebrauchen.“ Ihr Ehemann drängte die alte Lady dazu, weiterzugehen.
Eine rundliche Frau mittleren Alters, die eine braune Papiertüte auf dem Arm trug, schaute direkt in die Kamera. „Also, wenn Sie mich fragen, finde ich, dass Storm Harper auch mal etwas für die Allgemeinheit tun könnte. Fort Twistdale hat ihren Vater Jasper Harper reich gemacht. Sie selbst hat Karriere im PD gemacht. Die Stadt hat ihr und ihrer Familie viel gegeben. Jetzt ist es Zeit, dass sie der Stadt etwas zurückgibt.“
„Ist es nicht ein wenig zu viel verlangt? Wir reden hier von Ms. Harpers Leben.“ Der Reporter hielt der Frau das Mikrofon näher an den Mund.
Sie zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Vielleicht überlebt sie es
Weitere Kostenlose Bücher