Opfere dich
sprang vom Bett auf und lief im Schlafzimmer hin und her. „Das ist kein Spiel, das ist Realität!“
Er antwortete gelassen, ein wenig von oben herab, als hätte sie noch viel zu lernen: „Auch der Alltag ist ein Spiel. Jeder hat seine Rolle, meist sogar mehr als eine. Tagsüber Krankenpfleger, nachts Serienmörder. Leben und Tod liegen manchmal nah beieinander.“ Dann lachte er selbstzufrieden.
Konnte er tatsächlich Pfleger sein? Das würde ganz und gar nicht mit seinem Profil übereinstimmen, aber Storm hatte gelernt, sich nicht zu sehr an die Vorgaben zu halten, denn nicht alle Serienkiller passten hundertprozentig in ein Raster.
Er fuhr fort, von seinem Erlebnis zu erzählen, das ihn offensichtlich nachhaltig beeindruckt und seine Fantasie genährt hatte: „Wir haben natürlich nicht zusehen dürfen, aber man berichtete uns, dass der Dampfdruck des Gehirns nach dreißig Minuten die Nähte der Schädeldecke aufsprengt.“
„Dreißig Minuten war Gilbert den Flammen gar nicht ausgesetzt.“
„Du denkst immer noch an Gil?“, fragte er mit Genugtuung. „Ich wollte nur einen Plausch unter Gleichgesinnten.“
„Bullshit, wir sind keine Gleichgesinnten!“, protestierte sie entschieden. Sie blieb stehen und stemmte ihre freie Hand in die Hüfte.
„Doch, wir interessieren uns für dieselbe Sache.“ Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. „Für Verbrechen.“
„Und was hat das mit dem Krematorium zu tun, verdammt?“
Er pfiff durch die Zähne. „Reiß dich zusammen, Storm. Ich erwarte Höflichkeit von dir. Die bekommst du von mir auch. Mich hat schon immer interessiert, wie es wäre, einen lebenden Menschen in eine Brennkammer zu stecken. Oder eine Katze.“
Tränen schossen in ihre Augen. Sie ballte die Hand zur Faust und ging schweren Herzens nicht auf seine Provokation ein. „Tun Sie das Carol Frost nicht an. Sie hat eine Tochter, verflucht! Ihr Name ist Kayla.“
„Aber mit Moon wäre es okay?“
Sein unschuldiger Unterton machte sie so wütend, dass sie gegen die große weiße Blumenvase trat, die leer in der Ecke stand und schon grau vor Staub war. Die Vase zerbrach mit einem lauten Scheppern. Storm war es egal, ob der Mörder ihren Wutausbruch mitbekam. Sie räumte den Scherbenhaufen nicht weg, sondern ging ins Wohnzimmer, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Was soll’s! Ihr war schon alles egal.
„Ich dachte, du hättest nach Gil deine Lektion gelernt“, tadelte er sie. „Investiere nie Gefühle, denn du wirst immer enttäuscht werden. Und dann schaffst du, ausgerechnet du, die ich für weiser gehalten hätte, dir ein Haustier an, das du am Ende doch verlieren wirst. Was bleibt, ist immer Kummer und Einsamkeit.“
Storm ließ sich auf die Couch fallen, legte den Hinterkopf auf die Rückenlehne und starrte an die Zimmerdecke. Der Killer muss vergrämt und einsam sein. Tagsüber spielte er die Rolle, die das Leben ihm auferlegt hatte, perfekt, doch nachts suchten ihn seine Dämonen heim. „Bitte tu ihr nichts.“
„Du kannst sie retten. Komm zu mir – jetzt – und ich lasse Carol und Moon frei. Die kleine Kayla kriegt ihre Mommy zurück. Wäre das nicht ein Opfer wert? Und Moon bekäme die Chance, ein neues, besseres Heim zu finden. Beide sind noch jung. Sie würden vergessen.“
Viele Seriensexualmörder fielen in ihrer Kindheit durch Grausamkeiten gegenüber anderen Kindern, Brandstiftung, Vandalismus – und das Quälen von Tieren – auf. Deshalb ging Storm nicht davon aus, dass der Wachsmörder bluffte, sondern Moon nur ein weiteres Puzzleteil für ihn war, um sie mürbezumachen, bis sie eines Tages seinem Drängen nachgab.
Wie viel würde sie noch ertragen können? Sie redete sich ein, dass es nur eine Katze war. Aber Moon war ihre Katze. Sie hatte ihr Herz an das Kätzchen verloren. Sie konnte ihm Moon nicht einfach kampflos überlassen und die Sache abhaken. Das einzig Gute, das ihr nun klargeworden war: Sie war auf keinen Fall ein emotionsloser Klotz. Nach der Trennung von Gil war sie abgestumpft, aber sie war gefühlsmäßig nicht verkümmert, wie sich nun herausstellte.
Er referierte weiter: „Erst nach vierzig Minuten verbrennt die Muskulatur der Extremitäten. Dann dauert es keine zehn Minuten mehr, und Arme und Beine zerfallen. Wusstest du, dass Gils Eltern seinen Leichnam verbrennen lassen wollen?“
„Das ist nicht wahr.“ Schwungvoll richtete sie den Oberkörper auf.
„Sie wollen ihn nicht so verkohlt und
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