Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
zeigen?« Sie hatte sofort mit Humor abgewehrt.
»Nein, mit ›Land‹ meine ich eher die Vereinigten Staaten von Europa«, hatte er zurückgealbert.
»Heidelberg, Rom, der Eiffelturm und London in drei Tagen?«
»Nein. Länger. Drei Monate fände ich gut, damit man sich auf die Orte einlassen kann.«
Margot hatte nicht gewusst, ob er einen Scherz gemacht oder ob er es ernst gemeint hatte.
»Irgendwann nehme ich mir eine echte Auszeit«, hatte er gesagt und sein Blick war ganz ernst geworden. »Das Leben ist kurz. Ich kann nicht warten, bis ich hundertfünfzig Jahre alt bin.«
»Eine gute Idee.«
»Dann komm mit.« Das zweite und letzte Mal, dass Nick ihr das Angebot gemacht hatte.
Und nun hatte er diese verdammte SMS geschrieben, in der er wieder damit anfing, dass sie ihn begleiten solle. Schnoddrig zwar, aber Margot hatte nicht den Hauch eines Zweifels, dass er es ernst meinte. Denn im Gegensatz zu Rainer hatte Nick bislang immer gehalten, was er gesagt hatte.
Das alles ging Margot durch den Kopf, als sie überlegte, ob sie seine Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Nashville war keine zweihundertfünfzig Kilometer von Evansville entfernt, der Stadt, in der Nick wohnte. Ihm wäre es sicher leicht möglich, vor Ort herauszufinden, wo Paula Trizzi jetzt wohnte. Vielleicht lebte Paulas Vater ja noch auf der Farm. Sie sah auf die Uhr, zog sieben Stunden ab. Bei Nick war es jetzt kurz nach fünfzehn Uhr.
Nein. Sie würde ihn jetzt nicht anrufen. Erstens war es nicht fair, sich nur zu melden, wenn sie etwas brauchte. Und außerdem wollte sie seine Stimme jetzt nicht hören, weil sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren würde.
Sie holte sich ihren Laptop und gab den Namen Paula Trizzi ein. Die Ausbeute war dünn. Es gab eine Ana Paula Trizzi, die twitterte und auf Facebook aktiv war – aber das war die falsche, da das Geburtsdatum nicht annähernd stimmte. Margot versuchte es mit dem Namen und Nashville – nada. Dann gab sie nur den Vornamen ein und den Namen der amerikanischen Stadt – die Anzahl der Treffer lag bei mehr als acht Millionen.
Margot seufzte und beschloss, dass sie jetzt alles Menschenmögliche getan hatte, um schnell an Infos über Paula Trizzi zu gelangen. Sie griff zum Handy, las noch einmal die letzte SMS von Nick, schmunzelte und tippte auf Kontakt anrufen .
Bereits nach dem zweiten Klingeln ging Nick an den Apparat: »Margot! Das ist ja eine nette Überraschung! Wie komme ich zu der Ehre?« Nick hatte deutsche Vorfahren und war zweisprachig aufgewachsen. Durch mehrere Aufenthalte in Deutschland war er in der Sprache inzwischen zu Hause. Er hatte einen ganz leichten amerikanischen Akzent, doch sogar das harte deutsche r gelang ihm inzwischen ganz gut.
»Hallo«, sagte Margot nur. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Körpertemperatur um zwei Zehntel anstieg, als sie seine Stimme hörte. Viele Sätze huschten gleichzeitig durch ihr Gehirn, und sie wusste nicht, welchen sie zuerst aussprechen sollte.
»Wie geht es dir?«, half ihr Nick auf die Sprünge.
»Gut. Nein. Nicht gut – also eigentlich schon wieder besser.«
»Aha«, erwiderte Nick, der mit dem Gesagten sicher nicht sehr viel anfangen konnte. »Was kann ich für dich tun?«
Auch wenn sich Nick und Margot nicht wirklich oft gesehen hatten, so konnte er doch in ihr lesen, dass es ihr manchmal unheimlich war. Sie stammelte einen Satz, und schon wusste der Mann, der über sechstausend Kilometer entfernt von ihr sein Handy ans Ohr hielt, dass sie anrief, weil sie von ihm etwas wollte. »Ich habe hier einen ganz seltsamen Fall«, begann Margot.
Dann erzählte sie von Paula Trizzi, von dem unbekannten Vergewaltiger und davon, dass Paula Trizzi vor über zwanzig Jahren mit ihrem Vater Mattia Trizzi nach Nashville gegangen war. Sie erklärte, dass sie Paula Trizzi finden wollte, weil es vielleicht die Chance gab, heute den oder die Täter zu fassen, die ihr das angetan hatten.
»Okay. Und was möchtest du von mir?«
»Kannst du nicht vielleicht rausfinden, ob sie noch in Nashville wohnt? Oder wo sie ist?«
»Hm«, sagte Nick, und Margot spürte, dass sich seine Begeisterung in Grenzen hielt.
»Wenn du keine Zeit hast – es war nur ein Gedanke von mir.«
»Hmm. Okay.«
»Okay was?«
»Okay. Ich mache es. Ein persönlicher Gefallen. Für dich. Nicht für das Mädchen.«
Margot verstand den Satz. Sie kamen in ihrem Beruf mit so vielen Opfern in Kontakt, dass es unmöglich war, sich um jedes angemessen zu kümmern.
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