Opferlämmer
und einem dunklen Lagerhaus abzubiegen.
»Mach einfach, was ich sage, Bernie, und dir passiert nichts.«
»Sie kennen mich?«
»Ich bin Ray«, flüsterte er.
»Ray Galt?« Wahls Herz schlug ihm bis zum Hals. Ihm wurde schlecht. »Mann, hören Sie. Was haben Sie …«
»Psst. Geh weiter.«
Sie folgten der Gasse noch ungefähr fünfzehn Meter. Dann betraten sie eine dunkle Nische.
»Hinlegen, auf den Bauch. Arme seitlich ausstrecken.«
Wahl zögerte und dachte aus irgendeinem lächerlichen Grund an seinen teuren Anzug, den er an jenem Morgen stolz für den Arbeitstag ausgewählt hatte. »Du musst stets besser aussehen, als deine Stellung es erfordert«, hatte sein Vater ihm eingeschärft.
Die 45er stupste ihn auffordernd an. Wahl ließ sich wie ein Stein in den Dreck fallen.
»Ich gehe nicht mehr ins Leni’s, Bernie. Hältst du mich für blöd?«
Was ihm verriet, dass Galt ihn schon eine Weile beschattete.
Und ich hab’s nicht mal bemerkt. Mann, ich wäre ja ein toller Cop. Scheiße.
»Und ich nutze nicht deren Hotspot, sondern eine Mobilfunkverbindung über ein Prepaid-Telefon.«
»Sie haben all diese Leute getötet, Ray. Sie …«
»Die sind nicht meinetwegen tot, sondern weil die Algonquin und Andi Jessen sie ermordet haben! Wieso hat sie nicht auf mich gehört? Wieso hat sie nicht getan, worum ich gebeten habe?«
»Das wollte sie ja, Mann. Es war einfach nicht genug Zeit, das Netz herunterzufahren.«
»Schwachsinn.«
»Ray, hören Sie, Sie sollten sich stellen. Was Sie da machen, ist doch verrückt.«
Ein bitteres Lachen. »Verrückt? Du hältst mich für verrückt?«
»So hab ich das nicht gemeint.«
»Ich werde dir sagen, was verrückt ist, Bernie: Firmen, die Gas und Öl verbrennen und unseren Planeten zerstören. Und die durch ihre Leitungen Strom pumpen, der unsere Kinder tötet. Nur weil wir unsere beschissenen Mixer so gern haben, unsere Haartrockner und Fernseher und Mikrowellen … Meinst du nicht, dass das verrückt ist?«
»Ja, Sie haben recht, Ray. Sie haben recht. Tut mir leid. Ich
wusste ja nicht, was Sie alles durchgemacht haben. Ich würde Ihnen gern helfen.«
»Meinst du das ehrlich, Bernie? Meinst du das wirklich ehrlich, oder versuchst du bloß, deinen Arsch zu retten?«
Eine Pause. »Ein wenig von beidem, Ray.«
Zu Bernard Wahls Überraschung lachte der Killer leise auf. »Eine aufrichtige Antwort. Das dürfte eines der wenigen Male gewesen sein, dass jemand in Diensten der Algonquin die Wahrheit gesagt hat.«
»Hören Sie, Ray, ich mache doch nur meinen Job.«
Was eine feige Ausrede war, und er hasste sich selbst dafür. Aber er dachte an seine Frau, seine drei Kinder und seine Mutter, die mit ihm auf Long Island lebten.
»Ich hab nichts gegen dich persönlich, Bernie.«
Was wohl bedeutete, dass Wahl ein toter Mann war. Er kämpfte mit den Tränen. »Was wollen Sie?«, fragte er mit zitternder Stimme.
»Du musst mir etwas verraten.«
Den Sicherheitscode für Andi Jessens Wohnung? Die Garage, in der sie ihren Wagen parkte? Wahl kannte beides nicht.
Doch dem Killer schwebte etwas völlig anderes vor. »Ich muss wissen, wer nach mir sucht.«
Wahls Stimme stockte. »Wer … Äh, die Polizei natürlich, das FBI, die Homeland Security … Ich meine, jeder. Buchstäblich Hunderte von Leuten.«
»Erzähl mir was, das ich noch nicht weiß, Bernie. Ich rede von Namen . Auch bei der Algonquin. Ich weiß, dass manche der Angestellten den Fahndern behilflich sind.«
Wahl fing fast an zu weinen. »Ich habe keine Ahnung, Ray.«
»Natürlich hast du das. Ich brauche Namen. Nenn mir Namen. «
»Das kann ich nicht tun, Ray.«
»Der Anschlag auf das Hotel wurde beinahe verhindert. Wie
konnten sie darauf kommen? Man hat mich fast erwischt. Wer steckt dahinter?«
»Ich weiß es nicht. Die reden nicht mit mir, Ray. Ich bin doch bloß ein Wachmann.«
»Du bist der Sicherheitschef, Bernie. Natürlich reden die mit dir.«
»Nein, ich weiß wirklich …«
Er spürte, wie ihm seine Brieftasche abgenommen wurde.
Nein, bitte nicht …
Gleich darauf las Galt laut Wahls Privatadresse vor und steckte die Brieftasche wieder zurück.
»Wie stark ist der Strom in deinem Haus, Bernie? Zweihundert Ampere?«
»Ach, kommen Sie, Ray. Meine Familie hat Ihnen nichts getan. «
»Ich habe auch nie jemandem etwas getan, und ich bin trotzdem krank geworden. Du bist ein Teil des Systems, das mich krank gemacht hat, und deine Familie hat von diesem System profitiert … Zweihundert Ampere?
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