Opferlämmer
der Sicherheitschef der Algonquin, zu Fuß in Queens unterwegs. Er kam gerade von seinen Ermittlungen zurück. So jedenfalls bezeichnete er sie insgeheim. Seine Ermittlungen über seine Firma, den größten Energieversorger im Osten, womöglich sogar in allen nordamerikanischen Verbundnetzen.
Er wollte helfen. Vor allem jetzt, nach dem schrecklichen Anschlag auf das Battery Park Hotel.
Seit er von der griechischen Speise erfahren hatte, die von Detective Sachs gegenüber Miss Jessen erwähnt worden war, hatte er eine Strategie ersonnen.
Er nannte das »Mikro-Investigation«. Wahl hatte davon mal irgendwo gelesen oder es vielleicht im Fernsehen gesehen. Es kam nur auf die kleinen Anhaltspunkte an, die unscheinbaren Zusammenhänge. Zum Teufel mit Geopolitik und Terrorismus. Besorg dir einen Fingerabdruck oder ein einzelnes Haar und fang damit an. Bis du den Täter aufgespürt hast. Oder bis es sich als Sackgasse erweist und du einen anderen Weg einschlagen musst.
Also hatte er sich auf eigene Faust die umliegenden griechischen Restaurants in Astoria, Queens, vorgenommen, denn er wusste, dass Galt diese Küche mochte.
Und vor einer halben Stunde hatte er Erfolg gehabt.
Eine Kellnerin, Sonja, mehr als niedlich, hatte sich zwanzig Dollar für den Hinweis verdient, dass letzte Woche ein Mann in
dunkler Stoffhose und einem Strickhemd der Algonquin Consolidated – der bevorzugten Kleidung des mittleren Managements – zweimal bei ihnen zu Mittag gegessen hatte. Das Restaurant hieß Leni’s und war berühmt für seine Moussaka und den gegrillten Tintenfisch … und, was noch wichtiger war, für den hausgemachten Taramosalata, den jeder Gast unaufgefordert als Vorspeise bekam, ob mittags oder abends, mit Fladenbrot als Beilage und garniert mit Zitronenspalten.
Sonja wollte »es nicht beschwören«, aber als er ihr ein Foto von Raymond Galt zeigte, sagte sie: »Ja, ja, das könnte er sein.«
Und der Mann sei die ganze Zeit online gewesen – mit einem Laptop von Sony. Von seiner eigentlichen Bestellung habe er nur wenig gegessen, behauptete sie, aber den Taramosalata habe er bis zum letzten Rest verspeist.
Die ganze Zeit online …
Was für Wahl bedeutete, dass man eventuell zurückverfolgen konnte, wonach Galt gesucht oder wem er E-Mails geschickt hatte. Wahl kannte alle wichtigen Krimiserien, und er hielt sich auf eigene Kosten über die aktuellen technischen Entwicklungen auf dem Laufenden. Vielleicht konnte die Polizei die Identifikationsnummer von Galts Computer ermitteln und so sein Versteck finden.
Sonja hatte gesagt, der Killer habe zudem mit seinem Mobiltelefon mehrere Anrufe getätigt.
Das war interessant. Galt war ein Einzelgänger. Er verübte seine Anschläge aus Wut darüber, dass die Hochspannungsleitungen bei ihm Krebs verursacht hatten. Wen rief er also an? Einen Partner? Warum? Auch das konnte man herausfinden.
Wahl eilte nun zurück in sein Büro und überlegte, wie er die Sache am geschicktesten anpacken sollte. Natürlich musste er so schnell wie möglich die Polizei verständigen. Bei dem Gedanken, dass er maßgeblich zur Ergreifung des Täters beitragen würde, beschleunigte sich sein Herzschlag. Vielleicht würde
Detective Sachs sogar dermaßen beeindruckt sein, dass sie ihm zu einem Vorstellungsgespräch beim NYPD verhalf.
Doch halt, immer mit der Ruhe, ermahnte er sich. Mach einfach, was am besten ist, und kümmere dich später um deine Zukunft. Ruf alle an – Detective Sachs, Lincoln Rhyme und die anderen: McDaniel vom FBI und diesen Lieutenant, Lon Sellitto.
Und du musst natürlich Miss Jessen Bescheid geben.
Er ging mit großen Schritten, angespannt und beschwingt zugleich, und sah vor sich bereits die rot-grauen Schornsteine der Algonquin Consolidated. Und vor dem Gebäude mal wieder diese verfluchten Demonstranten. Er stellte sich vor, wie es wäre, einen Wasserwerfer auf sie zu richten. Oder einen Elektroschocker. Die Herstellerfirma dieses Dings hatte auch eine Art Taser-Schrotflinte entwickelt, die mit jedem Schuss eine Vielzahl von Stacheln abschoss und mehrere Personen gleichzeitig unter Strom setzen konnte.
Er malte sich lächelnd aus, wie die Menschen vor ihm auf dem Boden zuckten. Da packte ihn jemand von hinten.
Wahl erschrak und schrie auf.
Der Mann hielt ihm die Mündung einer Pistole an die rechte Wange. »Nicht umdrehen«, flüsterte der Fremde und drückte ihm die Waffe nun ins Kreuz. Die Stimme befahl ihm, in die Gasse zwischen einer geschlossenen Autowerkstatt
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