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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Stichverletzungen.
    Hier jedoch war die Atmosphäre sonderbar still, fast schon unheimlich.
    Sachs blieb stehen und las mit grimmiger Miene die Wegweiser. Dann zeigte sie auf ein Schild, und sie bogen auf einen düsteren Flur im Kellergeschoss des Krankenhauses ein.
    Sie blieben abermals stehen.
    »Da lang?«, flüsterte Sachs.
    »Verdammt, es könnte hier auch besser ausgeschildert sein!«
    Sachs hörte die Wut in Thoms Stimme, aber sie wusste, dass es hauptsächlich Bestürzung war.
    »Da.«
    Sie gingen weiter, vorbei an einer Station, hinter deren hohem Empfangstresen mehrere Krankenschwestern saßen und gemütlich plauderten. Dort gab es zahlreiche Papiere und Akten zu sehen, aber auch Kaffeetassen, Schminkutensilien und ein dickes Rätselheft. Voller Sudokus, registrierte Sachs und fragte sich, weshalb dieses Spiel so beliebt war. Ihr selbst fehlte die Geduld dafür.

    Sie nahm an, dass die Angestellten hier unten, in dieser Abteilung, nicht allzu häufig in jähe Hektik verfallen mussten, so wie man es in den Fernsehserien präsentiert bekam.
    An einem zweiten Tresen saß eine einzelne Schwester mittleren Alters. Sachs ging hin und sagte nur ein Wort: »Rhyme.«
    »Ah, ja«, erwiderte die Frau und hob den Kopf. Sie brauchte nicht erst irgendwo nachzusehen. »Und Sie sind?«
    »Seine Partnerin.« Sie hatte diesen Begriff schon häufig benutzt, sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht, aber bis jetzt war ihr noch nie klar geworden, wie absolut unzulänglich er war. Sie mochte ihn nicht. Hasste ihn.
    Thom sagte, er sei der Betreuer.
    Was auch irgendwie hölzern klang.
    »Ich fürchte, ich kann nicht mit Einzelheiten dienen«, sagte die Schwester und nahm damit Amelias Frage vorweg. »Kommen Sie mit.«
    Die stämmige Frau führte sie einen anderen Gang entlang, der noch trostloser als der erste aussah. Makellos sauber, gefällig designt, ordentlich. Und scheußlich.
    Was mehr oder weniger auf alle Krankenhäuser zutraf.
    Sie näherten sich einem Zimmer mit offener Tür. »Bitte warten Sie dort«, sagte die Schwester nicht unfreundlich. »Es kommt gleich jemand.«
    Dann verschwand die Frau sofort wieder, als fürchte sie, man könne sie auf einen Stuhl verfrachten und einem Verhör unterziehen. Sachs hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt.
    Sie und Thom bogen um die Ecke und betraten das Wartezimmer. Es war leer. Lon Sellitto sowie Rhymes Cousin Arthur und dessen Frau Judy waren unterwegs. Desgleichen Sachs’ Mutter, Rose. Sie hatte mit der U-Bahn herkommen wollen. Sachs hatte auf einem Fahrdienst bestanden.
    Schweigend saßen sie da. Sachs nahm ein anderes Sudoku-Heft, das hier lag, und blätterte darin herum. Thom warf ihr einen
Blick zu, drückte ihren Arm und lehnte sich zurück. Es war komisch, ihn mal nicht in tadelloser Haltung zu erleben.
    »Er hat nichts gesagt«, murmelte er. »Kein Wort.«
    »Überrascht dich das?«
    Er wollte bejahen. Doch dann sackte er noch mehr in sich zusammen. »Nein.«
    Ein Mann mit Anzug und schiefer Krawatte kam herein, musterte die Gesichter der beiden Anwesenden und beschloss, lieber woanders zu warten. Sachs konnte es ihm nicht verdenken.
    Bei solchen Anlässen will man keine Fremden um sich haben.
    Sachs legte ihren Kopf an Thoms Schulter. Er nahm sie fest in den Arm. Sie hatte vergessen, wie stark der Mann war.
    Der heutige Abend war der Kulminationspunkt der vielleicht merkwürdigsten und angespanntesten zwölf Stunden in all den Jahren, die sie Rhyme mittlerweile kannte. Als sie am Morgen aus Brooklyn eingetroffen war, hatte Thom sie schon an der Tür erwartet und stirnrunzelnd über ihre Schulter geblickt.
    »Was?«, hatte sie gefragt und sich umgedreht.
    »War er nicht bei dir?«
    »Wer? «
    »Lincoln.«
    »Nein.«
    »Verdammt. Er ist verschwunden.«
    Mit seinem schnellen und zuverlässigen Invacare TDX war Rhyme so mobil wie jeder andere Querschnittsgelähmte und hatte schon vereinzelte Ausflüge in den Central Park unternommen. Allerdings interessierte er sich nicht sonderlich für den Aufenthalt im Freien. Rhyme zog das Labor vor, inmitten seiner Ausrüstung und intellektuell vollauf mit einem Fall beschäftigt.
    Der Betreuer hatte ihn heute, genau wie von Rhyme gewünscht, früh geweckt, angezogen und in den Rollstuhl verfrachtet. »Ich bin mit jemandem zum Frühstück verabredet«, hatte der Kriminalist dann gesagt.

    »Und wohin fahren wir?«, hatte Thom gefragt.
    »›Ich‹ ist erste Person Singular, Thom. ›Wir‹ ist Plural. Zwar auch erste

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