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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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sahen. Aber so machte er das immer . Er konzentrierte sich dermaßen auf den Fall und das Ziel, die winzige Faser zu finden, den teilweisen Fingerabdruck, irgendetwas, das ihn dem Täter näher bringen würde …, dass er die möglichen Konsequenzen vergaß: Er setzte das Leben anderer Menschen aufs Spiel.

    Dabei brauchte er doch nur an seinen eigenen Unfall zu denken. Er war der Leiter der Spurensicherung des NYPD gewesen, im Rang eines Captains, und hatte dennoch persönlich einen Tatort untersucht. Als er sich neben einen Leichnam hockte, um eine Faser aufzusammeln, war von oben ein Balken heruntergestürzt und hatte sein Leben für immer verändert.
    Und nun hatte genau diese Arbeitseinstellung – die Amelia Sachs von ihm eingeimpft worden war – womöglich noch Schlimmeres angerichtet: Sachs konnte tot sein.
    Thom hatte jemanden erreicht.
    »Wer ist das?«, fragte Rhyme barsch und mit wütendem Blick. »Mit wem redest du da? Geht es ihr gut?«
    Thom hob eine Hand.
    »Was soll das heißen? Was um alles in der Welt willst du mir damit sagen?« Rhyme fühlte Schweißtropfen über seine Stirn rinnen. Er war sich bewusst, dass er schneller atmete. Sein Herz schlug wie wild, wenngleich er das natürlich nicht in der Brust spürte, sondern in seinem Kiefer und in seinem Hals.
    »Das ist Ron«, sagte Thom. »Er ist bei dem Umspannwerk.«
    »Scheiße, ich weiß, wo er ist. Was ist passiert?«
    »Es hat … einen Zwischenfall gegeben. So heißt es jedenfalls.«
    Zwischenfall …
    »Wo ist Amelia?«
    »Man sieht gerade nach. Es sind einige Leute ins Gebäude gegangen. Sie haben eine Explosion gehört.«
    »Ich weiß, dass es eine Explosion gegeben hat. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen!«
    Der Blick des Betreuers richtete sich auf Rhyme. »Bist du … Wie fühlst du dich?«
    »Frag mich doch nicht dauernd. Was geht am Tatort vor?«
    Thom sah Rhyme weiterhin prüfend ins Gesicht. »Du bist ganz rot.«
    »Es geht mir gut«, erwiderte der Kriminalist ruhig – damit
der junge Mann sich wieder auf das Telefongespräch konzentrierte. »Wirklich.«
    Dann neigte der Betreuer den Kopf und erstarrte zu Rhymes Entsetzen mitten in der Bewegung. Seine Schultern hoben sich leicht.
    Nein …
    »Okay«, sagte Thom in den Hörer.
    »Okay was ?«, schimpfte der Kriminalist.
    Thom ignorierte seinen Chef. »Legen Sie los.« Er klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und tippte etwas in die Tastatur des Hauptcomputers des Labors ein.
    Auf dem Monitor öffnete sich ein Fenster.
    Rhyme war mit seiner Geduld am Ende und wollte seinem Unmut soeben Luft verschaffen, als plötzlich eine offenbar unverletzte, wenn auch sehr nasse Amelia Sachs ins Bild kam. Das rote Haar klebte ihr in Strähnen an beiden Wangen wie Seetang im Gesicht eines Sporttauchers.
    »Tut mir leid, Rhyme, meine Kamera ist durch das unfreiwillige Bad ausgefallen.« Sie hustete laut und wischte sich über die Stirn. Dann betrachtete sie angewidert ihre Finger. Die Bildübertragung war abgehackt.
    Rhymes Panik wich sofort einer großen Erleichterung, aber der Zorn – auf sich selbst – blieb.
    Sachs blickte ihm zwar entgegen, aber nur in seine ungefähre Richtung. »Ich stehe hier vor dem Laptop eines der Algonquin-Arbeiter. Das Gerät ist mit einer Webcam ausgestattet. Kannst du mich überhaupt sehen?«
    »Ja, ja. Aber bist du in Ordnung?«
    »Ich hab einen Schwall dieser ekligen Brühe in die Nase gekriegt. Ansonsten ist alles okay.«
    »Was war denn los?«, fragte Rhyme. »Der Lichtbogen …«
    »Das war kein Lichtbogen. Die Batterie hätte dafür nicht ausgereicht. Der Algonquin-Typ hat gesagt, die Spannung wäre zu
niedrig gewesen. Unser Täter hat eine Bombe gebastelt. Anscheinend kann man so etwas mit Batterien tun. Man verstopft die Entlüftung und überlädt sie. So entsteht Wasserstoffgas. Wenn dann Wasser auf die Batteriepole trifft, gibt es einen Kurzschluss, und der Funke entzündet das Gas. Das ist passiert.«
    »Haben die Sanitäter dich untersucht?«
    »Nein, nicht nötig. Die Explosion war laut, aber nicht allzu heftig. Ich habe bloß ein paar Plastikteile vom Gehäuse abbekommen, doch das dürfte nicht mal einen blauen Fleck geben. Als die Druckwelle mich umgeworfen hat, konnte ich die Luke über Wasser halten. Die Spuren sind hoffentlich nicht zu sehr verunreinigt worden.«
    »Gut, Ame…« Er verstummte abrupt. Aus irgendeinem Grund hielten sie sich schon seit vielen Jahren an einen unausgesprochenen Aberglauben: Sie redeten sich während

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