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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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drängte Thom flüsternd.
    »Nur noch eine Minute. So, Grünschnabel, Sie erledigen bitte noch etwas für mich. Sehen Sie das Restaurant oder Café auf der anderen Straßenseite?«
    Der Beamte schaute nach rechts. »Ja, alles klar … Moment, woher wissen Sie, dass da so ein Laden ist?«
    »Ach, ich hab in der Gegend neulich einen Spaziergang gemacht«, erwiderte Rhyme und lachte in sich hinein.
    »Ich … äh …« Der junge Mann war verwirrt.
    »Ich weiß es, weil ein solcher Laden da sein muss . Unser Täter wollte das Umspannwerk bei dem Anschlag im Blick haben. In ein Hotel hätte er einchecken müssen, und in einem Bürogebäude wäre er zu leicht aufgefallen. Es musste also einen Ort geben, an dem er beliebig lange sitzen konnte, ohne Aufsehen zu erregen.«
    »Ah, ich verstehe. Sie meinen, dass er irgendwie darauf abfährt, sich das Feuerwerk anzuschauen?«
    Die Zeit für Komplimente war vorbei. »Herrje, Grünschnabel,
versuchen Sie sich etwa an einem Täterprofil? Sie wissen doch, was ich von solchen Profilen halte, oder?«
    »Äh, Sie sind nicht gerade ein großer Fan davon, Lincoln.«
    Rhyme sah Sachs im Hintergrund lächeln.
    »Der Täter musste beobachten, wie seine Vorrichtung funktioniert. Er hatte etwas Einzigartiges geschaffen. So eine Lichtbogenkanone kann man wohl schwerlich auf einem Schießstand ausprobieren. Er musste die Spannung und die Einstellungen der Trenner justieren, und er musste sicherstellen, dass die Entladung exakt in Gegenwart des Busses stattfinden würde. Um zwanzig nach elf hat er angefangen, den Computer des Stromnetzes zu manipulieren, und zehn Minuten später war alles vorbei. Gehen Sie rüber, und reden Sie mit dem Geschäftsführer des Restaurants …«
    »Es ist ein Café.«
    »… dann eben mit dem Geschäftsführer des Cafés, und finden Sie heraus, ob jemand in der Zeit vor der Explosion an einem der Fenster gesessen hat. Der Betreffende muss direkt danach gegangen sein, noch vor dem Eintreffen von Polizei und Feuerwehr. Ach, und bringen Sie in Erfahrung, ob es dort einen Internetzugang gibt und wer der Provider ist.«
    Thom, der inzwischen Gummihandschuhe übergezogen hatte, gestikulierte ungeduldig.
    Pinkeln und Kacken …
    »Mach ich, Lincoln«, sagte Pulaski.
    »Und dann…«
    »…sperre ich den Laden ab und untersuche den Platz des Verdächtigen auf Spuren«, fiel der junge Beamte ihm ins Wort.
    »Ganz genau, Grünschnabel. Danach kommen Sie und Sachs so schnell wie möglich her.«
    Mit einem seiner funktionierenden Finger trennte Rhyme die Verbindung und kam damit Thoms ausgestreckter Hand um den Bruchteil einer Sekunde zuvor.

… Zehn
    Das digitale Umfeld.
    Fred Dellray musste daran denken, wie Tucker McDaniel, der neue Assistant Special Agent in Charge der New Yorker Zweigstelle des FBI, seine Leute vor einigen Stunden zusammengetrommelt und ihnen einen Vortrag gehalten hatte. Dabei war es im Wesentlichen um die gleichen Punkte gegangen, die soeben bei Rhyme erörtert worden waren: dass die bösen Jungs sich neuer Kommunikationsmethoden bedienten und dass die immer schnelleren technischen Fortschritte ihnen das Leben erleichterten und den Behörden die Arbeit erschwerten.
    Das digitale Umfeld …
    Dellray wusste natürlich, was damit gemeint war. Jeder moderne Polizist kannte den von McDaniel propagierten Hightech-Ansatz bei der Verbrechensbekämpfung. Doch das hieß nicht, dass Dellray diese Methoden mochte. Er mochte sie kein bisschen. Hauptsächlich weil das »digitale Umfeld« ein Inbegriff für grundlegende, womöglich sogar umwälzende Veränderungen war.
    Auch im Leben von Fred Dellray.
    Es war ein schöner Nachmittag. Dellray fuhr mit der U-Bahn in Richtung Downtown und dachte an seinen Vater, einen Professor am Marymount Manhattan College und Autor mehrerer Bücher über afroamerikanische Philosophen und Kulturkritiker. Der Mann hatte im Alter von dreißig Jahren die akademische Welt betreten und sie nie wieder verlassen. Er war im selben
Büro gestorben, das ihm jahrzehntelang ein zweites Zuhause gewesen war. Als man ihn fand, saß er zusammengesackt über Korrekturabzügen der Zeitschrift, die er kurz nach der Ermordung Martin Luther Kings gegründet hatte.
    Dellrays Vater war Zeuge zahlreicher drastischer Veränderungen geworden – der Untergang des Kommunismus, die Aufweichung der Rassentrennung, das Aufkommen von nichtstaatlichen Feinden. Computer traten an die Stelle von Schreibmaschinen und Nachschlagewerken. Autos hatten Airbags. Statt vier

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