Opferlämmer
mache.«
… Zwanzig
Amelia Sachs wollte Sommers die Liste nicht zeigen. Er hätte manche der Angestellten kennen und geneigt sein können, sie von vornherein als mögliche Verdächtige auszuschließen. Oder der umgekehrte Fall trat ein, und Sommers würde ihre Aufmerksamkeit nur deshalb auf jemanden lenken, weil er ihn oder sie aus anderen Gründen für fragwürdig hielt.
Von alldem erzählte sie ihm jedoch nichts, sondern sagte einfach, sie wolle das Profil einer Person, die den Anschlag geplant und den Computer dazu benutzt haben könnte.
Er öffnete eine Tüte Nachos und bot Sachs davon an. Sie lehnte ab, woraufhin er sich eine Handvoll in den Mund stopfte und geräuschvoll zu kauen anfing. Mit dem zerzausten Haar, dem blau-weiß gestreiften Hemd, das ein Stück aus der Hose hing, und dem Bauchansatz kam Sommers ihr nicht wie ein Erfinder, sondern eher wie ein Werbetexter mittleren Alters vor. Seine Brille war zwar modisch, aber Sachs vermutete, dass auf dem Gestell nach den Worten »Made in« der Name eines asiatischen Schwellenlands folgte. Die Falten in seinen Augen- und Mundwinkeln waren nur aus der Nähe zu erkennen.
Sommers spülte den Snack mit Limonade herunter. »Kümmern wir uns zunächst um die Tatsache, dass er den Strom zum Umspannwerk an der Siebenundfünfzigsten Straße umgeleitet hat«, sagte er. »Das engt den Kreis der Verdächtigen nämlich schon ein; nicht jeder hier wäre dazu in der Lage. Genau genommen sogar nur recht wenige Leute, denn sie müssten sich
mit SCADA auskennen, unserem Überwachungsprogramm. Es läuft auf UNIX-Computern. Der Täter müsste zudem über Kenntnisse auf dem Gebiet der EMP verfügen – der Energiemanagementprogramme. Unseres heißt Enertrol und ist ebenfalls UNIX-basiert. UNIX ist ein ziemlich kompliziertes Betriebssystem. Es gelangt zum Beispiel in den großen Internet-Routern zur Anwendung. Man kann es nicht mit Windows oder Mac OS vergleichen. Und man kann auch nicht einfach im Internet nachschauen, wie all diese Software bedient wird. Man benötigt jemanden, der sich näher mit SCADA und EMP beschäftigt hat, entweder durch den Besuch entsprechender Kurse oder durch die praktische Ausbildung in einem Kontrollzentrum, die mindestens sechs bis zwölf Monate gedauert haben dürfte.«
Sachs machte sich Notizen. »Und was ist mit dem Lichtbogen? «, fragte sie dann. »Wer könnte eine solche Vorrichtung installieren? «
»Wie genau hat er es denn angestellt?«
Sachs beschrieb ihm das Kabel mit der Sammelschiene.
»Es wurde aus dem Fenster gehängt?«, fragte Sommers. »Als würde man mit einer Waffe nach draußen zielen?«
Sie nickte.
Sommers blieb eine Weile still. Er schien zu überlegen. »Das hätte Dutzende von Todesopfern geben können … Und die Verbrennungen … Schrecklich!«
»Wer hätte die nötigen Kenntnisse?«, ließ Sachs nicht locker.
Sommers wandte abermals den Blick ab, was er häufig tat, wie Sachs bemerkt hatte. »Ich weiß, dass Sie mich explizit nach Angestellten der Algonquin gefragt haben«, sagte er dann. »Aber Sie sollten wissen, dass Lichtbögen so ziemlich das erste Thema bei der Ausbildung eines jeden Elektrikers sind. Ob sie nun als selbstständige Handwerker arbeiten sollen, als Angestellte eines Bauunternehmens oder einer Fabrik, bei der Army oder Navy …
sobald sie mit Strom führenden Leitungen zu tun haben, bei denen Lichtbögen zum Problem werden könnten, bringt man ihnen die Regeln bei.«
»Sie meinen also, dass jeder, der weiß, wie man Lichtbögen vermeidet oder ihnen vorbeugt, gleichzeitig weiß, wie man sie herbeiführen könnte?«
»Genau.«
Sachs machte sich eine weitere schnelle Notiz. Dann blickte sie auf. »Beschränken wir uns aber vorerst auf die Angestellten.«
»Okay, wer hier könnte so etwas bauen? Er müsste an unter Spannung stehenden Leitungen arbeiten. Demnach müsste er entweder ein geprüfter Elektrikermeister sein, ein speziell geschulter Techniker oder ein Störungssucher.«
»Ein was? Störungssucher?«
Sommers lachte. »Tolle Berufsbezeichnung, nicht wahr? Das sind Spezialisten, die beim Ausfall einer Leitung, einem Kurzschluss oder einem anderen Problem die notwendigen Reparaturen veranlassen. Und vergessen Sie nicht, dass viele unserer ranghöheren Mitarbeiter sich von unten hochgedient haben. Nur weil sie heutzutage hinter einem Schreibtisch sitzen und Energiekontingente an- und verkaufen, heißt das nicht, dass sie nicht mit verbundenen Augen eine dreiphasige Schalttafel
Weitere Kostenlose Bücher