Opferlämmer
auch immer, das ist egal. Aber es muss jetzt passieren.«
Sellitto und McDaniel einigten sich auf ein gemeinsames Vorgehen und leiteten beide alles Notwendige in die Wege.
»Wir nähern uns dem Ende der Frist, also wird er vermutlich nicht zu Hause sein«, warnte Rhyme. »In dem Fall möchte ich, dass nur meine Leute Galts Wohnung auf Spuren untersuchen.«
»Kein Problem«, sagte McDaniel.
»Ich?« Sachs hob eine Augenbraue.
»Nein. Falls wir Hinweise auf den Ort des nächsten Anschlags finden, will ich dich dort haben.« Er schaute zu Pulaski.
»Ich?« Das gleiche Pronomen, ein anderer Tonfall.
»Beeilung, Grünschnabel. Und denken Sie daran …«
»Ich weiß«, sagte Pulaski. »Diese Lichtbogendinger sind zweieinhalbtausend Grad heiß. Ich passe auf mich auf.«
Rhyme lachte. »Ich wollte eigentlich sagen: Versauen Sie es ja nicht… Und jetzt Tempo!«
… Neunundzwanzig
Jede Menge Metall. Überall Metall.
Ron Pulaski sah auf die Uhr: elf. Noch zwei Stunden bis zum nächsten Anschlag.
Metall … mit hervorragender Leitfähigkeit und wahrscheinlich per Kabel an eine der unsichtbaren Stromquellen in den Eingeweiden des heruntergekommenen Mietshauses angeschlossen, in dem er stand.
Nach Erlass des Durchsuchungsbefehls hatten die Teams von FBI und ESU – zur allseitigen Enttäuschung, aber zu niemandes Überraschung – feststellen müssen, dass Galt nicht anwesend war. Pulaski hatte daraufhin die Beamten hinauskomplimentiert. Und ließ nun den Blick durch die dunklen Räume schweifen, die im Keller eines alten baufälligen Sandsteingebäudes an der Lower East Side lagen. Er und drei Kollegen hatten den taktischen Zugriff durchgeführt – nur vier Personen, gemäß Rhymes Anordnung, um die Verunreinigung durch fremde Spurenpartikel auf ein Minimum zu reduzieren.
Die anderen waren nun draußen, und Pulaski untersuchte die kleine Wohnung allein. Ihm fielen zahlreiche Metallobjekte auf, die als Fallen präpariert sein konnten, ähnlich wie die Notfallbatterie in dem Umspannwerk, die beinahe Amelia getötet hatte.
Und er musste an die Metallscheibchen auf dem Bürgersteig denken, an die kleinen Krater im Beton und an die Löcher im Leib des armen jungen Luis Martin. Ihm fiel etwas ein, das sogar noch beunruhigender war: Amelia Sachs, die sichtlich mitgenommen
wirkte. Was sonst nie vorkam. Wenn dieses Stromzeug ihr solche Angst einjagen konnte …
Nachdem seine Frau Jenny am Vorabend zu Bett gegangen war, hatte Ron Pulaski sich ins Internet eingeloggt und versucht, so viel wie möglich über Elektrizität nachzulesen. Sobald man etwas versteht, wird man es weniger fürchten, hatte Lincoln Rhyme zu ihm gesagt. Wissen bedeutet Kontrolle. Auf Elektrizität, Strom, Saft traf das leider nicht so ganz zu. Je mehr Pulaski erfuhr, desto unbehaglicher fühlte er sich. Er begriff zwar das grundlegende Konzept, kam aber immer wieder auf die Tatsache zurück, dass Strom nun mal so verdammt unsichtbar war. Man konnte nie genau wissen, wo er steckte. Wie eine Giftschlange in einem dunklen Zimmer.
Er schob diese Gedanken nur mit Mühe beiseite. Lincoln Rhyme hatte ihm diesen Tatort anvertraut. Also mach dich gefälligst an die Arbeit. Auf der Fahrt hierher hatte er Rhyme angerufen und ihn gefragt, ob der Kriminalist via Audio- und Videoübertragung an der Untersuchung des Schauplatzes teilnehmen wolle, wie er dies manchmal mit Amelia praktizierte.
»Ich hab zu tun, Grünschnabel«, hatte Rhyme gesagt. »Falls Sie das immer noch nicht allein hinkriegen, besteht wohl keine Hoffnung mehr für Sie.«
Klick .
Die meisten Leute hätten das als Beleidigung aufgefasst, aber Pulaski grinste breit und hätte am liebsten sofort seinen Zwillingsbruder angerufen, einen Streifenbeamten beim Sechsten Revier, um ihm stolz davon zu erzählen. Doch natürlich machte er das nicht; er hob es sich für das kommende Wochenende auf, wenn sie beide einen trinken gehen wollten.
Und so fing er nun ganz allein mit der Untersuchung an und streifte die Latexhandschuhe über.
Galts Wohnung war eine karge, trostlose Bude, eindeutig das Zuhause eines Junggesellen, der sich keinen Deut um seine Umgebung
scherte. Dunkel, beengt, muffig. Die Lebensmittel zur Hälfte frisch, zur Hälfte alt, teils sogar sehr alt. Die Kleidung einfach auf einen Haufen geworfen. Rhyme hatte Pulaski eingeschärft, dass es hier vordringlich nicht darum ging, Beweise für ein Gerichtsverfahren zu sichern – obwohl er »ja nicht vergessen« sollte, die
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