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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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der Morningside Drive …«
    »Was ist damit?«
    »Er ist eine einzige Baustelle. Die Hauptwasserrohre werden ausgetauscht. Große Eisenrohre. Mein Gott, falls er die Leitung dort angekoppelt hat …«
    »Dann könnte der Lichtbogen überall entlang der Straße einschlagen«, sagte Rhyme. »Verdammt, er könnte sogar in ein Gebäude eindringen, ein Büro, ein Studentenwohnheim, ein Geschäft in der Nähe … oder auch meilenweit entfernt.«
    »Ich muss die Stelle finden, an der Galt das Kabel angeschlossen hat, Rhyme.« Sie steckte ihr Telefon in das Futteral am Gürtel und lief zu der Baustelle.

… Zweiunddreißig
    Sam Vetter hatte gemischte Gefühle, was seinen Aufenthalt in New York anging.
    Der Achtundsechzigjährige war noch nie hier gewesen. Er hatte all die Jahre in Scottsdale gelebt und stets mit der Reise geliebäugelt. Auch Ruth hätte die Stadt gern besucht, aber dann waren sie im Urlaub doch immer nach Kalifornien oder Hawaii geflogen oder hatten eine Kreuzfahrt nach Alaska unternommen.
    Und nun hatte seine erste Geschäftsreise seit Ruths Tod ihn ausgerechnet nach New York geführt, und alle Spesen wurden vergütet.
    Er freute sich, hier zu sein.
    Und war traurig, dass Ruth ihn nicht mehr begleiten konnte.
    Er saß gerade beim Mittagessen im eleganten, gedämpften Restaurant des Battery Park Hotel, nippte an seinem Bier und unterhielt sich mit einigen der anderen Männer, die auch wegen der Baukostentagung hier waren.
    Die Gesprächsthemen waren typisch für Geschäftsleute. Wall Street, Mannschaftssportarten. Wenn Einzelsport, dann nur Golf. Niemand redete je über Tennis, was Vetters Lieblingssport war. Sicher, alle kannten Federer oder Nadal … aber Tennis bot nun mal keinen Stoff für Kriegsgeschichten. Frauen spielten bei den Gesprächen ebenfalls kaum eine Rolle; die Männer hier waren alle nicht mehr die Jüngsten.
    Vetter ließ den Blick in die Runde schweifen, hinaus durch
die großen Panoramafenster, und prägte sich möglichst viel ein, denn seine Sekretärin und die Kollegen zu Hause würden ihn nach seinen Eindrücken von New York fragen. Bis jetzt: sehr hektisch, sehr wohlhabend, sehr laut, sehr grau – trotz des wolkenlosen Himmels. Als wüsste die Sonne, dass die New Yorker für ihr Licht ohnehin kaum Verwendung hatten.
    Gemischte Gefühle …
    Ein Teil davon Schuld, weil er Spaß hatte. Er würde sich Wicked anschauen, um herauszufinden, ob es mit der Aufführung in Phoenix mithalten konnte, und wahrscheinlich auch Billy Elliott , von dem er bislang nur den Trailer der Verfilmung kannte. Und er würde in Chinatown zu Abend essen, und zwar mit zwei der Banker, die er am Vormittag kennengelernt hatte, einer aus New York, der andere aus Santa Fe.
    Er kam sich irgendwie vor, als würde er Ruth betrügen.
    Obwohl sie natürlich nichts dagegen gehabt hätte.
    Dennoch.
    Vetter musste auch gestehen, dass er sich hier ein wenig wie ein Fisch auf dem Trockenen vorkam. Seine Baufirma war auf Grundlegendes spezialisiert: Fundamente, Straßen, Bahnsteige, Gehwege – nicht besonders sexy, aber notwendig und durchaus profitabel. Sie leistete gute, prompte und ehrliche Arbeit – in einer Branche, die nicht unbedingt für diese Qualitäten bekannt war. Aber sie war klein; die anderen Unternehmen dieses Joint Ventures zählten zu den größeren Vertretern. Und kannten sich deutlich besser mit den geschäftlichen Winkelzügen, Durchführungsbestimmungen und Gesetzesvorschriften aus als Vetter.
    Die Gespräche am Tisch verschoben sich von den Diamondbacks und Mets immer wieder hin zu Lombardkrediten, Zinssätzen und Hightech-Systemen, was Vetter als sehr verwirrend empfand. Er ertappte sich dabei, wie er wieder mal die große Baustelle neben dem Hotel musterte; dort wurde offenbar irgendein neues Büro- oder Apartmentgebäude hochgezogen.

    Ihm fiel ein bestimmter Arbeiter auf. Der Mann trug andere Kleidung – einen dunkelblauen Overall und einen gelben Helm – und hatte eine Draht- oder Kabelrolle geschultert. Er kam im hinteren Teil der Baustelle aus einem Schacht zum Vorschein, blieb stehen und schaute sich blinzelnd um. Dann zog er ein Mobiltelefon aus der Tasche und rief jemanden an. Er klappte das Telefon zu, überquerte das Baustellengelände und schien das Nachbargebäude anzusteuern. Dabei wirkte er völlig unbekümmert und beschwingt. Offenbar machte seine Arbeit ihm Freude.
    Das war alles so normal. Dieser Kerl hätte Vetter vor dreißig Jahren sein können. Oder einer von Vetters

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