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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Caroline Fletcher gewesen sein?»
    «Völlig ausgeschlossen. Sie hat ein paar Regeln gebrochen, überhastet gehandelt. Und sie war völlig verrückt nach Mantel. Aber eine Mörderin ist sie nicht.»
    «Fletcher meint, dass Emma Bennett was damit zu tun haben könnte.»
    «Wirklich?» Er sah überrascht aus, beinahe entgeistert. «Das hat sie damals nie erwähnt. Ich habe Emma zwar nicht befragt, aber es ist doch ziemlich unwahrscheinlich. Sie wirkt immer noch so zaghaft und schüchtern. Damals war sie noch ein junges Mädchen. Caroline muss sich irren.»
    «Du denkst von jedem nur das Beste, was, Dan?»
    Er stand unvermittelt auf und trat ein Stück weg, wollte, wie es schien, ein bisschen auf Abstand gehen. «Ich nehme mal an, du hättest gern einen Kaffee.»
    «Ach, Danny, das wäre schrecklich nett. Und wenn du die Schokoladenkekse wieder ausgraben könntest   … Das Hotel, wo wir untergebracht sind   … die Größe der Portionen da, man könnte meinen, sie beköstigen Kleinkinder.»
    Sie sah ihm hinterher, wie er in die kleine, unaufgeräumte Kammer mit dem Tablett und dem Wasserkocher ging. Die Tür fiel hinter ihm zu. Vera zog die Schublade auf, in die er den Stapel Papiere gestopft hatte, als sie aufgetaucht war. Unter einem Haufen Rechnungen lag ein Fotoalbum mit festem Einband und Ringbindung. Sie hob es auf den Schreibtisch und blätterte die Seiten um. Es war eine Dokumentation der Ermittlungen im Mantel-Fall. Grobkörnige Zeitungsartikel, die ausgeschnitten und eingeklebt worden waren. Über jedem Artikel stand mit schwarzem Kugelschreiber der Name der jeweiligen Zeitungund das Erscheinungsdatum. Es waren überregionale und regionale Zeitungen und manche vom selben Datum. Waren die Artikel zu groß, so waren sie nur mit dem oberen Teil eingeklebt und gewissenhaft gefaltet. Sie waren oft angeschaut worden, an manchen Stellen war der Falz schon ganz brüchig. Dann gab es noch verblasste Kopien des forensischen und des gerichtsmedizinischen Berichts. Ein Foto von Abigail, wie sie am Tatort lag, und eins von ihr im Leichenschauhaus auf dem Edelstahltisch.
    Auf der letzten Seite klebte ein Foto des Mädchens, als es noch lebte. Ein Atelierbild, ein Porträt, sie saß seitlich zur Kamera, hatte ihr das Gesicht zugedreht. Abigail lächelte verführerisch. Im Hintergrund sah man einen lose drapierten Vorhang, das Licht war möglicherweise gefiltert worden, jedenfalls wirkte das Bild wie mit Weichzeichner gemacht. Abigail trug Make-up, das professionell aussah, und ihre Haare waren hochgesteckt. Hals und Schultern waren bloß bis auf eine Perlenkette. Sie sah viel älter aus als fünfzehn, und das Bild konnte nicht lange vor ihrem Tod aufgenommen worden sein. Vielleicht war es ja ein Geburtstagsgeschenk von ihrem Vater, dachte Vera. Das wäre genau sein Stil. Genau seine Art. Aber wie war Dan Greenwood dann daran gekommen?
    Sie hörte, wie sich der Wasserkocher in der Kammer mit einem Klicken ausschaltete und Teelöffel gegen Becherwände klapperten. Sie faltete die Zeitungsausschnitte wieder zusammen und schloss das Album. Als Dan hereinkam, das Tablett in der Hand, war der Schreibtisch wieder leer. Sie saß zurückgelehnt in ihrem Sessel, als hätte sie ein bisschen gedöst.

Teil drei

Kapitel vierunddreißig
    Der Wind weht immer noch, aber er kommt jetzt von Süden und ist weich und regenschwer. Emma sitzt im Captain’s House an ihrem Fenster und schaut nach draußen, über die Straße. Es ist später Nachmittag. In der Schmiede geht ein Licht an. Sie hat Dan Greenwood seit Tagen nicht gesehen und hungert danach, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Aber während sie sich noch wünscht, dass er auftaucht, wird ihre Aufmerksamkeit von vier älteren Damen abgelenkt, die geschäftig aus der Kirche eilen. Alle tragen sie aus Filz oder falschem Pelz gemachte Hüte von der Form umgedrehter Champignons und kurze Wollmäntel, und es sieht aus, als würden sie aufeinander herumpicken, während sie sich unterhalten. Der Gottesdienst ist gerade vorbei. Die Abendandacht, die jeden Mittwoch stattfindet, oder ein Treffen der
Mothers’ Union
. Emma fragt sich, ob Mary wohl auch da gewesen ist, ob sie sich aufgerafft hat, der Welt entgegenzutreten. Sie hofft es. Sie kann den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Eltern in Springhead House gestrandet sind, inmitten der Feuchtigkeit und der Stille, und über den Verlust ihres Sohnes grübeln.
     
    Emma dachte ein paar Augenblicke über diese Geschichte nach. Musste sie noch

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