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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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sie. «Nun verschwinden Sie schon. Ich werde mich selbst gleich aufmachen.» Aber sie blieb sitzen und schaute in das leere Glas, außerstande, den Blick in den quadratischen, überheizten Raum mit dem an der Wand befestigten Fernseher zu wenden. Die Managerinnen legten eine kurze Gesprächspause ein und sahen mitleidig zu ihr hinüber. Das setzte sie in Bewegung. Sie stand auf, ging an der Rezeption vorbei und hinaus in die Dunkelheit.
    Das Hotel lag an der Hauptstraße außerhalb des Dorfs, und es gab zwar Straßenlaternen, aber keinen Bürgersteig. Als ihr ein Lkw entgegenkam, musste sie die Böschung hochklettern und sich in eine Hecke ducken. Sie ging Richtung Elvet, ohne recht zu wissen, warum, doch sie genoss es, an der Luft zu sein und allein. Ihre Kopfschmerzen wurden langsam besser. Auf den Straßen im Dorfzentrum war alles ruhig. Der
Anchor
hatte noch offen, und durch das kleine Fenster erhaschte sie das Bild zweier Männer, die an der Bar standen, die Münder lachend aufgesperrt, neben der riesigen Whiskyflasche, in der Kleingeld für das Rettungsboot gesammelt wurde. Hinter ihnen stand ein Barmädchen mit einem Diamantstecker in der Nase. AberVera ging weiter, und das Bild verschwand beinahe sofort wieder.
    Im Captain’s House waren die Vorhänge zugezogen. Ob James und Emma Bennett wohl am Feuer saßen und gemütlich miteinander plauderten? Ob er ihr wohl gerade die wahre Geschichte seines Lebens erzählte?
    In der Alten Schmiede war Licht. Sie hämmerte gegen die Türen. Nichts rührte sich.
    «Na, komm schon, Mann. Lass mich rein. Ich muss dringend mal pinkeln.»
    Schließlich hörte sie Schritte, dann schob Dan Greenwood heftig einen Riegel zurück und machte die Tür auf. Er sah ganz benommen aus, als hätte sie ihn aus dem Tiefschlaf gerissen oder bei etwas unterbrochen, das äußerste Konzentration verlangte.
    «Du arbeitest aber noch spät, Danny, mein Junge.»
    «Umso besser, wenn du wirklich so dringend musst, wie du behauptest. Die Toilette ist hinten im Hof.»
    Sie durchquerte die Töpferei, doch an der rückwärtigen Tür blieb sie stehen und wandte sich zu ihm um. Er stapelte ein paar Unterlagen auf seinem Schreibtisch zusammen und stopfte sie in eine Schublade. Als sie wiederkam, war der Schreibtisch leer.
    «Arbeitest du immer so spät?», fragte sie.
    «Ist eine Gewohnheit, die man nur schwer loswird, wenn man mal Polizist gewesen ist. Davon abgesehen, gibt es nicht viel, was mich nach Hause zieht.»
    «Keine Frau in deinem Leben, hm?» Ihr fiel die letzte Bemerkung ein, die er zu diesem Thema gemacht hatte, und sie dachte, dass er um diese späte Zeit vielleicht geneigter war, darüber zu reden.
    Er zuckte unverbindlich die Schultern, lächelte kurz. «Wer weiß. Ich bin mir nicht sicher.»
    «Das ist mir etwas zu kryptisch für diese nachtschlafende Zeit. Weswegen bist du dir nicht sicher?»
    «Ich habe sie sehr gern. Aber ich weiß nicht, was sie von mir hält. Wo das Ganze hinführen soll.»
    «Vielleicht solltest du sie fragen. Ich persönlich ziehe den direkten Angriff immer vor.»
Aber schau her, wohin mich das gebracht hat,
dachte Vera. In ihrem Leben gab es schon seit Jahren keinen Mann mehr.
    Wieder lächelte er, und sie nahm an, dass er das Gleiche dachte, aber zu sehr Gentleman war, um es auszusprechen. «Und was ist mit dir los, dass du nach Einbruch der Dunkelheit ganz allein herumspazierst?», fragte er. «Liest du die Regeln zur Verbrechensverhütung nicht?»
    «Ich kann nur nicht schlafen», sagte sie. «Das kennst du doch auch.»
    «Wie läuft es denn?»
    «Es gleitet mir aus der Hand», sagte sie. «Das Gesamtbild. Hier geht einfach zu viel vor sich. Du weißt ja, wie das mit Ermittlungen von dieser Größenordnung ist. Die ganzen Informationen. Die ganzen Einzelheiten. Zu viel, um alles zu behalten. Man ertrinkt darin.»
    «Aye», sagte er. «Ich erinnere mich.»
    «War es das erste Mal beim Mantel-Fall auch so?»
    «Das erste Mal sah es so aus, als würde es nur die eine Verdächtige geben. Von Anfang an.»
    «Aber du hast nie geglaubt, dass es Jeanie Long war.»
    «Sie hätte es sein können. Es kam mir nur unwahrscheinlich vor.»
    «Wieso?»
    «Das klingt blöd», sagte er. «Abgedroschen. Aber sie wirkte einfach nicht wie der Typ dafür.»
    «Wer dann? Du musst doch einen Verdacht gehabt haben.»
    Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und reckte sich. «Nein», sagte er. «Keinen ernsthaften. Ich habe nur nicht geglaubt, dass Jeanie es war.»
    «Könnte es

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