Opferschuld
saßen wie eben, als sie sie durchs Fenster beobachtet hatte.
«Bitte verzeihen Sie die Störung», sagte sie.
Keiner sagte etwas. Sie starrten sie an.
«Ich habe Emma gerade schon erklärt, dass wir noch ein paar Fragen haben.» Und danach, dachte sie, könnte sie mit ein bisschen Glück diesen Ort und diese Menschen endlich verlassen. Sie gingen ihr allmählich unter die Haut. Bald glaubte sie schon, dass sie die Ursache für den Ausschlag an ihren Beinen waren, für das Jucken und Kratzen. Es waren die Menschen hier oder das Brackwasser in den Gräben, oder das modernde Unkraut auf den brachliegenden Feldern. Dann ermahnte sie sich, nicht so dämlich zu sein und ihren Job zu machen.
«Bei Ermittlungen wie diesen», sagte sie, «müssen wir tief graben. Die Menschen haben Geheimnisse …»
«Sprechen Sie von James?», unterbrach Robert sie. «Das hat uns Emma schon erklärt. Dafür hätten Sie nicht hier herauskommen müssen.»
«Nein», sagte Vera. «Es geht nicht um James.» Sie brach ab und wandte sich Emma zu. «Aber wieso rufen Sie ihn nicht an? Erlösen Sie den armen Mann von seinem Elend.»
«Was kann es sonst noch für Geheimnisse geben?», fragte Emma.
Vera antwortete ihr nicht direkt. «Rufen Sie James an. Hören Sie sich an, was er zu sagen hat.»
«Warum wollen Sie mich aus dem Weg haben?», fragte Emma. «Ich bin kein Kind mehr. Sie können ruhig reden, wenn ich dabei bin.»
Vera sah sie traurig an.
«Die meiste Lauferei hat Sergeant Ashworth erledigt. Er war heute in York.» Robert Winter saß ihr gegenüber. Sie wartete auf eine Reaktion von ihm, aber es kam keine. Vielleicht hatte er ja genau das erwartet. Vielleicht wartete er darauf seit dem Tag, an dem die Nachricht von Jeanie Longs Unschuld veröffentlicht worden war. Mary neben ihr, die vorher schon unruhig gewesen war, wurde noch nervöser.
«Da müssen wir doch jetzt nicht drüber sprechen, oder? Es ist spät. Wie Sie wissen, Inspector, haben wir unsere eigenen Probleme in der Familie. Emma ist ganz aufgelöst.»
«Mr Winter …»
«Was möchten Sie gern wissen?» In seiner Stimme lagen professionelle Höflichkeit und der Hauch einer Drohung.
Ich hoffe, Sie kommen mir nicht mit Anschuldigungen, die Sie nicht beweisen können. Wir sind Opfer. Sie sollten uns mit Respekt und Mitgefühl behandeln.
«Ich habe mit Ihrer früheren Geschäftspartnerin gesprochen, mit Mrs Sullivan.» Joe Ashworth stand immer noch in der Tür. Alle sahen zu ihm hoch. Früher wäre es ihm unangenehm gewesen, im Mittelpunkt zu stehen. Vera war stolz auf sein neues Selbstvertrauen, wollte gern glauben, dass er es ihr zu verdanken hatte.
«Maggie und ich haben uns unter ziemlich unerfreulichen Umständen getrennt», sagte Robert. «Sie hatte das Gefühl, finanziell schlecht weggekommen zu sein. Ich glaube nicht, dass Sie sich auf ihre Version der Ereignisse verlassen sollten.»
«Sie sagte mir, Sie seien ganz vernarrt in ihre Tochter gewesen, als die noch ein Teenager war.»
«Lächerlich.»
«Sie sagte, sie sei diejenige gewesen, die die Partnerschaft aufgelöst hat. Sie fühlte sich gezwungen, die berufliche Verbindung mit Ihnen zu lösen, weil sie sich solche Sorgen wegen Ihres Umgangs mit Zoe machte.»
«Schauen Sie», sagte Robert. Er legte ein Lächeln in seine Stimme, klang wie ein Politiker, der kein Wässerchen trüben konnte. «Der Mann von Maggie Sullivan hat die beiden verlassen, als Zoe noch ein Baby war. Ich war eine Vaterfigur. Ich gebe zu, dass ich Interesse an dem Mädchen gezeigt habe, aber ich wollte nur helfen.»
«Ich glaube gern, dass es so angefangen hat. Sie war fast schon ein Teil der Familie, nicht wahr? Sie hat viel Zeit bei Ihnen verbracht und Ihnen mit den Kindern geholfen.»
«Sie war ein Einzelkind», sagte Robert. «Sie hat die beiden geliebt.»
«Dann haben Sie angefangen, sie anzurufen, wenn Sie wussten, dass ihre Mutter nicht zu Hause war. Sie haben vor der Schule auf sie gewartet, sind ihr nach Hause gefolgt. Haben ihr Liebesbriefe geschickt. Mrs Sullivan hatSie als einen Stalker beschrieben. Sie hat damit gedroht, zur Polizei zu gehen, aber dann wollte sie nicht, dass ihre Tochter in ein Gerichtsverfahren verwickelt würde.»
«Wenn Sie das sagen, klingt es so schmutzig», erwiderte Robert. «So war es nicht.»
«Wie war es dann?» Vera fragte, als wäre sie nur neugierig, als würden sie beim Nachmittagstee ein bisschen Klatsch und Tratsch austauschen.
«Ich würde sagen, ich war in einer
Weitere Kostenlose Bücher