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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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«Scheiße», sagte sie. «So eine Scheiße. Wie konnte ich das nur übersehen?»
    «Sie hatten Scheuklappen an. Waren von Anfang an davon überzeugt, dass Jeanie Long den Mord begangen hat.»
    «Aber es deutete doch alles darauf hin. Sie hatte Motiv und Gelegenheit, und ihr Alibi ließ sich nicht überprüfen.»
    «Aber es gab keine gerichtsmedizinischen Spuren. Und kein Geständnis, auch nach zehn Jahren nicht.»
    «Ein junges Mädchen war ermordet worden. Ein hübsches junges Mädchen. Sie wissen doch, wie das ist. Jeden Abend ihr Bild in den Nachrichten. Die Presse, die Politiker, alle gieren nach einem Ergebnis. Es herrscht Druck, die Sache schnell aufzuklären.»
    «Das ist nur zu wahr», sagte Vera.
    Sie saßen schweigend da. Der Regen prasselte gegen das Fenster.
    «Es war also nichts Persönliches?», fragte Vera.
    «Wie meinen Sie das?» Carolines Kopf schoss in die Höhe. Sie war wieder bereit zu kämpfen.
    «Vielleicht hatten Sie ja eine Abneigung gegen Jeanie Long.»
    «Aber ich bin ihr vor dem Mord nie begegnet.»
    «Das habe ich nicht gemeint. Manchen Verdächtigen gegenüber kann man doch schwer auf Distanz bleiben   … Sie gehen einem auf die Nerven   …»
    «Vielleicht war da was in der Art», räumte Caroline ein. «Sie hat es einem nicht leichtgemacht. Das war wohl ihre Arroganz. Die Überheblichkeit. Als ob ein Abschluss an der Uni und ein paar Kenntnisse von diesem Klassikgedudel sie zu was Besserem machen würden.»
    «Ich kenne den Typ.»
    «Und sie hasste Abigail. Ich sehe mittlerweile ein, dasssie das Mädchen nicht umgebracht haben kann. Aber sie war froh, dass die Kleine tot war.»
    «Stand jemals irgendjemand anders unter Verdacht? Ich meine, bevor Sie sie eingebuchtet haben?»
    «Eigentlich nicht. Keith Mantel hat uns sehr schnell auf sie gebracht. Er sagte, Jeanie sei immer eifersüchtig auf Abigail gewesen, und als er sie bat auszuziehen, habe sie dem Mädchen die Schuld gegeben.»
    «Haben Sie die hiesigen Minderbemittelten und Sexualstraftäter überprüft?»
    «Natürlich, auch wenn ich es nie für die Tat eines Perversen gehalten habe. Es gab keine Vergewaltigung. Ihre Kleider waren nicht mal durcheinandergebracht. Und wenn es das nicht war, wer außer Jeanie Long könnte ein Motiv gehabt haben? Abigail war erst fünfzehn, um Himmels willen. Ein Schulmädchen. Kein Geld, das man erben könnte. Und sie hat ja wohl kaum lange genug gelebt, um sich Feinde zu machen.»
    «War sie noch Jungfrau?» Obwohl Vera das natürlich wusste. Sie hatte jeden Bericht gelesen, den es über den Fall gab.
    «Nein, aber das ist nicht ungewöhnlich für eine Fünfzehnjährige. War es auch vor zehn Jahren nicht.»
    «Haben Sie irgendwelche Freunde von ihr aufgespürt, Jungs?»
    «Keinen, der zugegeben hätte, mit ihr geschlafen zu haben. Aber das hätten sie ja sowieso nicht, oder? Sie war noch minderjährig.»
    «Wie ist ihr Vater damit zurechtgekommen?»
    «Es war kein Schock für ihn, dass sie schon Sex gehabt hatte. Er sagte mir, den superstrengen Vater habe er nie gespielt. Das sei nicht seine Art gewesen. Er habe ihr nur gesagt, sie solle verhüten.»
    «Hat sie ihn denn um Rat gebeten? Mit ihm über die Jungs gesprochen, mit denen sie unterwegs war?»
    «Er hat gesagt, nein, und das habe ich ihm geglaubt. Warum sollte er lügen?»
    «Emma, die Kleine, die die Leiche gefunden hat   …»
    «Ja?»
    «Man hätte meinen können, dass sie vielleicht wusste, mit wem Abigail schlief.»
    «Vielleicht.» Caroline zögerte. «Ich habe sie nicht gefragt. Als wir Jeanie Long einmal inhaftiert hatten, schien es nicht mehr von Bedeutung zu sein. Ich sah nicht ein, wieso man in der Vergangenheit eines jungen Mädchens wühlen sollte.»
    Vera ließ sich das durch den Kopf gehen, ohne etwas zu sagen. Auch Ashworth war offenbar in Gedanken versunken. Draußen vor dem Fenster maunzte eine Katze, aber trotz des Regens stand niemand auf, um sie hereinzulassen.
    «Warum haben Sie eigentlich den Dienst quittiert?», fragte Vera.
    Das war eine Frage, auf die Caroline nicht vorbereitet war. Ein so blödsinniger Fehler wie der, Christopher nicht zu befragen. Sollte das alles sein, worauf ihr Versagen am Ende hinauslief?, dachte Vera. Mangelnde Sorgfalt bei der Bearbeitung ihrer Fälle?
    «Das hatte persönliche Gründe», sagte Caroline schließlich. «Mit der Arbeit hatte es nichts zu tun.»
    «Da müssen Sie mir schon was Besseres erzählen», fuhr Vera auf. «Persönliche Gründe, das gibt es bei mir

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