Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
seit Generationen hier. Sein Vater war Steuermann auf dem Rettungsboot, und er hatte unten an der Küste noch ein Fischerboot. Und Michael hat schon als junger Mann für die Lotsen gearbeitet. Dann ist Keith Mantel aufgetaucht und hat mit Geld nur so um sich geworfen, und die Leute beachteten bloß noch ihn. Wirklich lächerlich. Wie zwei kleine Jungs auf dem Spielplatz. Am liebsten hätte man sie mit den Köpfen zusammengeschlagen   …»
    «Hat Jeanie weiter hier gearbeitet, nachdem sie bei Mantel eingezogen ist?»
    «Nein. Das hätte er nicht gewollt. Er mag es, wenn die Frauen abhängig von ihm sind. Und ich weiß ja, was er vor Gericht gesagt hat, dass Jeanie vor seiner Tür aufgetaucht ist und er sie nicht wegschicken konnte. Als hätte er sich gar nichts aus ihr gemacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Am Anfang jedenfalls nicht. Am Anfang hat sie ihm wirklich was bedeutet.»
    Darüber dachte Vera einen Augenblick nach. Womöglichhatte sie sich in Mantel getäuscht. Vielleicht war er ja doch fähig zu lieben. Wenn man das Paar in Ruhe gelassen hätte, wenn Abigail und Michael und überhaupt ganz Elvet sie in Ruhe gelassen hätten, wären sie vielleicht glücklich geworden. Nein, dachte sie dann. Es wäre nie ein Märchen mit Happy End geworden. Er hätte sich weiter mit Caroline Fletcher getroffen. Es wäre nicht gutgegangen.
    Sie trank ihr Glas aus und stellte es auf den Tresen.
    «Noch eins?», fragte Veronica.
    Vera ging kurz in sich. «Besser nicht.» Sie rutschte von ihrem Hocker.
    «Ich habe Jeanie nochmal gesehen», sagte Veronica plötzlich, und Vera hievte sich zurück auf ihren Platz. «In der Woche, bevor Abigail umgebracht wurde. Das habe ich damals nicht gesagt. Wenn die Polizei mich dazu befragt hätte, hätten sie nur einen falschen Eindruck gewonnen.»
    «In welcher Hinsicht?»
    «Sie ist hier aufgetaucht, als ich gerade erst am Aufsperren war, und ich habe ihr einen Kaffee gemacht. Sie wollte nur Dampf ablassen. Über das Mädchen, Abigail, und was für ein Prinzesschen sie war. ‹Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich Keith erzähle, was sie ausheckt, glaubt er mir ja doch nicht. Aber ich kann sie doch nicht einfach ungestraft davonkommen lassen.›»
    «Womit?», fragte Vera.
    Veronica schüttelte den Kopf. «Das weiß ich nicht. Wenn ich sie gedrängt hätte, hätte sie es mir vielleicht erzählt. Aber es war kurz bevor wir öffnen, und irgend so ein Klinkenputzer kam gerade rein. Sie sagte, sie würde schon sehen, dass ich viel zu tun habe, und ein andermal wiederkommen. Zehn Tage später hat die Polizei sie wegen Mordes verhaftet.»

Kapitel neunundzwanzig
    Am nächsten Tag fuhr Vera zur Landspitze. In den Dünen gab es einen Parkplatz. Sie ließ das Auto dort stehen und ging den Pfad zur Anlegestelle hinunter. Es war neun Uhr früh, ein strahlender Morgen. Das Licht warf scharfe Schatten und spiegelte sich glitzernd im Wasser. Sie war froh, aus dem Dorf heraus zu sein, weg von den argwöhnischen Blicken der Einwohner und den ständigen Nachstellungen durch die Presse, die bald an jeder Ecke lauerte. Ein paar der Schreiberlinge hatten Vera in der Bäckerei gesehen und daraufhin ihren Wohnsitz dort bezogen.
    Sie hatte Ashworth aufgetragen nachzuprüfen, ob Bennett der war, der er sagte. Personenstandsregister, Sozialversicherungsnummer, Angaben aus dem Pass. Das würde dauern, aber er würde es gut hinbekommen. Er hatte ja auch schon herausgefunden, dass Nick Lineham sich an dem Tag, als Abigail ums Leben kam, bei einer Trauerfeier in Sunderland die Seele aus dem Leib geheult hatte. Vera hatte vorgeschlagen, dass er von der Polizeidirektion aus arbeitete. Sie wollte wissen, wie es mit den Ermittlungen im Fall Winter stand, und ihr würde Holness kaum freiwillig etwas verraten. Nicht nach ihrem letzten Auftritt. Aber Ashworth mochten die Leute. Wo er auch hinkam, sie vertrauten ihm, redeten mit ihm. Aber hoffentlich bekam er auch ein Gefühl für die Sache. Wenn sie nach Einzelheiten im Winter-Fall fragen würde, würde ihr das zuständige Team zwar die Fragen beantworten, aber sie wollte mehr als das. Sie brauchte die abwegigen Theorien, das Gerede im Pub spät am Abend. Und außerdem war sie zu stolz, um zu fragen.
    Sie war froh, an der frischen Luft zu sein, um den Kopf wieder klar zu bekommen. Abend für Abend schwor siesich, einmal nichts zu trinken, aber so recht gelang es ihr nicht. Sie betrank sich zwar nicht hoffnungslos, aber es gab Abende, an denen sie

Weitere Kostenlose Bücher