Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
getrunken?»
    «Manchmal. Nicht öfter als die anderen Kerle in seinem Alter. Aber er hat nie Streit gesucht, wenn er betrunken war, er wurde nie aufdringlich. Ein paarmal habe ich miterlebt, wie er plötzlich ganz sentimental wurde, und dannsprach er über seinen Vater. ‹Manchmal denke ich, dass ich gar nicht sein Sohn bin. Was soll der überhaupt mit mir zu tun haben   …›»
    Ein älterer Mann kam herein. Noch bevor er an der Bar war, hatte Veronica sein Pint schon gezapft. Er legte ein paar Münzen auf den Tresen und trug sein Bier wortlos in eine Ecke. Vera wartete, bis er außer Hörweite war, und fuhr dann fort.
    «Aber Jeanie müssen Sie gut gekannt haben. Sie hat schließlich für Sie gearbeitet.»
    «Aye, erst im Lokal, und als sie achtzehn war, auch an der Bar. Ich mochte sie sehr, auch wenn Barry sagte, dass sie für ein Barmädchen zu still wäre. Nicht kontaktfreudig genug. Mir war das egal. Sie war interessant. Ich freute mich auf die Tage, an denen sie kam. Wir haben über Bücher geredet und Musik. Zu so einer Unterhaltung hat man nicht oft Gelegenheit hier drin.»
    Oder mit Barry,
schwang da unausgesprochen mit.
    «Offenbar mochten andere Leute sie nicht so sehr», sagte Vera. «Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen. Arrogant haben sie sie genannt, hochnäsig.»
    Veronica dachte darüber nach. «Vielleicht wirkte sie ja so, wenn man sie nicht gut kannte. Sie war anders als die anderen Mädchen hier im Dorf. Mit denen konnte sie sich nicht unterhalten. Aber das war mehr Schüchternheit als irgendwas anderes. Und später, nach dem Gerichtsverfahren, musste sie wohl hart sein, um zu überleben.»
    «Haben Sie sie je im Gefängnis besucht?»
    «Ich habe Peg gesagt, ich würde kommen, wenn sie es wollte. Ich bat sie, Jeanie dazu zu bringen, mir ein Besuchsformular zu schicken. Aber das hat sie nie. Vielleicht konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass irgendwer anders sie dort sehen sollte.» Wieder schwieg sie kurz. «Sie warstolz. Schon als junges Mädchen. Hier muss man sich öfter dumme Bemerkungen anhören. Wenn die Kerle zu viel getrunken haben, einen blöd angrinsen und sich wie Machos aufführen. Sie hat nie gezeigt, dass ihr das zusetzte.»
    «Hat ihr Vater ihr zugesetzt?»
    «O ja. Ich weiß nicht, was mit Michael los war. Er konnte sie einfach nicht in Ruhe lassen. Immer musste er rummeckern und spitze Bemerkungen machen. Über ihre Klamotten oder die Haare oder darüber, was sie mit ihrer Zeit anstellte. Aber sie ließ sich auch bei ihm nichts anmerken. Wie ich schon sagte, sie war stolz.»
    «Erzählen Sie mir, wie sie Keith Mantel begegnet ist. War das, als sie hier gearbeitet hat?»
    Veronica starrte zur Tür, als hoffte sie, jemand würde hereinkommen und sie könnte sich vor der Antwort drücken. «Darüber denke ich manchmal nach. Wie das alles so kommt. Wenn ich sie nicht hier eingestellt hätte, dann würde sie vielleicht noch leben.»
    «So dürfen Sie nicht denken, Herzchen. Das macht Sie nur verrückt.»
    «Ich weiß, aber vielleicht hätte ich sie vor Mantel warnen sollen. Auf mich hätte sie vielleicht gehört. Er hat sie mit seinem Charme eingewickelt. Keith kann unwiderstehlich sein, wenn er seinen Charme spielen lässt. Ich habe ihn hier schon erlebt, wenn er aufdreht.»
    «Was hat ihn an ihr angezogen? Ich meine, warum Jeanie? Ich hätte nicht gedacht, dass sie sein Typ ist.»
    «Sie war eine Schönheit», sagte Veronica schlicht. «So, wie manche Models es sind. Die, die das große Geld machen. Nicht hübsch. Abigail war hübsch. Jeanie war umwerfend. Und das ist ganz plötzlich gekommen. An einem Tag war sie noch ein schlaksiger Teenager mit Pickeln, und dann auf einmal eine tolle junge Frau. Das hat nichtjeder erkannt. Manche haben immer noch die alte Jeanie gesehen, selbst wenn die neue direkt vor ihrer Nase stand. Nicht mal Michael ist es aufgefallen. Aber Mantel hat es erkannt. Ich habe gesehen, wie er sie beobachtete. Jeanie war selbst nicht klar, wie sehr sie sich verändert hatte, bis er sie darauf aufmerksam machte.»
    «Dann hat sie sich deshalb in ihn verliebt?», fragte Vera.
    «Er war älter, ein ziemliches Schlitzohr, aber durch ihn fühlte sie sich das erste Mal attraktiv   …» Veronica hielt inne. «Dass ihr Vater ihn nicht ausstehen konnte, war natürlich auch ein Grund.»
    «Worum ging es dabei eigentlich? Warum hatte Michael eine solche Abneigung gegen ihn?»
    «Michael hat das Dorf früher praktisch allein regiert. Seine Familie lebt schon

Weitere Kostenlose Bücher