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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Peg nie ein böses Wort gefallen ist, aber das war nicht immer so. Bevor sie krank wurde, hat er sie gehörig runtergeputzt. Manchmal vor allen Leuten. Einmal, im
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, als sie versucht hat, ihn zum Heimgehen zu überreden, hat er sie angeschrien und übel beschimpft. Also, ich hätte mir das nicht gefallen lassen.»
    «Das ist demütigend», sagte Vera, «wenn es in aller Öffentlichkeit geschieht.»
    «Ganz recht.» Einen Moment lang herrschte Schweigen, und beide schienen in Erinnerungen zu versinken.
    «Was ist mit Emma Bennett?», fragte Vera. «Damals hieß sie noch Emma Winter. Kannten Sie sie zur Zeit des Mordes?»
    «Sie war wohl die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Emma hätte ich auf der Straße nie und nimmer erkannt. Sie war viel jünger als ich, und damals waren sie gerade erst in Springhead House eingezogen. Nachdem es passiert war, zeigten die Leute mit dem Finger auf sie. Sie wissen ja, was die so tratschen: ‹Schau, die Kleine da, die hat die Leiche von dem Mantel-Mädchen gefunden.› Aber vorher hatte ich keine Ahnung, wer sie war.»
    «Und jetzt ist sie mit einem von den Lotsen verheiratet.»
    «Ja, mit James.» Sie lauschte den Worten gerade lange genug nach, um spüren zu lassen, dass sie ihn schätzte. Vera sagte nichts, in der Hoffnung, sie würde weiterreden. «Tja, James Bennett», sagte Wendy schließlich. «Das ist mal ein Mann, der zu anständig ist, um wahr zu sein.»
    «Wie meinen Sie das?» Vera sprach mit gleichgültiger Stimme, kaum interessiert.
    «Na ja, er ist irgendwie anders, finden Sie nicht? Gut aussehend, rücksichtsvoll. Und ein verdammt guter Lotse.»
    «Das sagen mir alle.»
    «Ein paar von den Lotsen sehen einen kaum an. Als hätten sie sich an einem Freitagabend ein Taxi gerufen, das sie aus der Stadt nach Hause bringt. Wenn man Glück hat, kriegt man ein Grunzen ab. James ist anders. Selbst wenn man genau sieht, dass er fix und fertig ist, ist er noch höflich.»
    «Weiß Emma, was für ein Glück sie hat?»
    «James ist vernarrt in sie, das sieht doch jeder.»
    «Und Emma?»
    «Das kann ich nicht sagen. Sie ist ein bisschen wie Jeanie Long. Immer zurückhaltend und wortkarg. Gehemmt. Noch so eine mit einem despotischen Vater.»
    «Woher kennen Sie denn Robert Winter?» Vera war überrascht. Sie hätte nicht gedacht, dass die beiden in den gleichen Kreisen verkehrten. Aber vielleicht kannte ja, wie Wendy gesagt hatte, in einem so kleinen Ort wirklich jeder jeden. Oder glaubte es zumindest.
    Wendy schwieg, und einen Moment lang dachte Vera, dass sie gar nicht mehr antworten würde. «Ich habe einen Loser geheiratet», sagte Wendy schließlich. «Einen großspurigen Idioten, der voller Pläne und Träume steckte und mir das Blaue vom Himmel herunter versprach, aber das war alles nur Gerede. Am Ende landete er vor Gericht, angeklagt wegen Betrug und Kreditkartendiebstahl.»
    «Und er hat Bewährung bekommen», sagte Vera.
    «Aye, und er hatte meistens was Besseres zu tun, als seine Termine beim Bewährungshelfer einzuhalten, also hat Robert Winter dauernd bei uns herumgeschnüffelt und ihn gesucht.»
    «Mochten Sie Mr   Winter nicht?»
    «Er war so von oben herab. Als ob er selbst vollkommen wäre und der Rest von uns zu blöd, um das Leben auf die Reihe zu kriegen. Jed, mein Ex, war kein Engel. Er war in alles Mögliche verstrickt, von dem ich nichts wusste. Nichts wissen wollte. Und er konnte gemein werden, wenn er was getrunken hatte. Wie Michael Long. Ich kannte solche Typen. Aber ich brauchte keinen Robert Winter, der mir das sagt. Und ich hätte Jed verdammt viel eher verlassen, wenn Winter mir das nicht immer wieder geraten hätte.» Sie lächelte. «Ich war schon immer ein sturer Hund. Ich konnte es noch nie leiden, wenn mir jemand sagt, was ich tun soll.»
    «Nein», sagte Vera. «Ich auch nicht. Deswegen bin ich die Leiter ein bisschen nach oben geklettert – bis ich das Sagen hatte. Trotzdem, ich hätte nicht gedacht, dass das Winters Art wäre. Ich dachte, ihm würde etwas an der Heiligkeit der Ehe liegen. Er ist doch religiös, oder?»
    «Er ist ein Kriecher.» Aber Wendy hatte offenbar das Interesse verloren. «Wie auch immer, danach hatte ich kaum noch was mit ihm zu tun. Jed wurde wieder geschnappt und eingebuchtet. Als er aus dem Gefängnis kam, hatte ich einen Job auf den Fähren bekommen. Da habe ich dann Blut geleckt, und so bin ich hier gelandet.»
    «Wie ist eigentlich James hier gelandet?», fragte Vera beiläufig und als wäre das die

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