Opferspiel: Thriller (German Edition)
kommen. Keine Ausreden.«
Jeanie wandte sich ab, also knallte Jo die Liste auf Dans Schreibtisch und fügte »schnellstmöglich« in einem Ton hinzu, der ausdrückte, dass sie jetzt das Sagen hatte und beabsichtigte, Rita Nultys Mörder in Rekordzeit zu finden. Sollte heißen, dass Jeanie von jetzt an das geringste ihrer Probleme war.
10
Ryan Freeman lag ausgestreckt auf dem Sofa und starrte in den Fernseher. Der neue Familienzuwachs Cassie – eine Bordercolliehündin, die für Katie angeschafft worden war in der Hoffnung, sie würde sie zugänglicher machen – lag auf einem Läufer daneben und beobachtete ihn, wobei sie gelegentlich den Kopf neigte, als fühlte sie mit ihm mit.
Er sah sich die Aufnahmen der Überwachungskameras auf dem Schulgelände vom Tag von Katies Verschwinden an wie schon tausendmal zuvor, weil er sicher war, irgendetwas übersehen zu haben. Hatte er dieses Detail erst einmal gefunden, so glaubte er, hielt er den Ansatzpunkt in der Hand, mit dem er Katies Probleme entwirren konnte.
Die sepiafarbenen Bilder, die vor ihm abliefen, waren so grobkörnig, dass sie etwas Gespenstisches hatten. Der inzwischen tote Drogenboss Crawley trug eine tief ins Gesicht gezogene Truckercap, deren Schirm fast unter der Kapuze seines Sweatshirts verschwand. Darüber einen schwarzen Lederblouson mit Elastikbund, außerdem Jeans und weiße Turnschuhe.
Wütend richtete Ryan die Fernbedienung auf den Bildschirm und spulte zu der Stelle vor, an der Crawley sich aufgrund des langsamen Einzelbildablaufs wie ein Roboter auf ein unbekanntes Auto zubewegte, das vor dem Schultor hielt. Nur ein kleiner Teil des Fahrzeugs war sichtbar, weshalb er die Marke nicht feststellen konnte; das rechte Rücklicht und die letzte Ziffer des Kennzeichens in der oberen linken Ecke waren gerade noch erkennbar.
Vier zuckende Bilder später: Crawley, der sich über das offene Fahrerfenster beugt … wie ein Verrückter gestikuliert und immer wieder mit dem Finger auf den Fahrer tippt, sein Ellbogen mal im Blickfeld und mal nicht … und nach einem unsichtbaren Stoß zurückwankt, sodass Mütze und Kapuze ein Stück herunterrutschen. Ryan sah, wie Crawley versuchte, die Wagentür aufzureißen, es sich dann jedoch anders überlegte und die Person durch das Fenster an den Haaren zog. Lange blonde Strähnen kamen kurz ins Sichtfeld.
Ein heftiger Streit, aber mit wem?, fragte sich Ryan wie jedes Mal, wenn er die Aufnahmen sah. Was wusste die Frau am Steuer? Worüber stritten sie sich? Hatte sie Crawley Informationen über Katies Tagesablauf beschafft oder ihm das Mädchen kurz vor der Entführung gezeigt? Und vor allem, würde sie ihm helfen, falls er sie fand, Katie aus ihrer stummen Welt zu befreien, wenn man ihr versprach, sie nicht anzuzeigen?
Ryan unterbrach die Wiedergabe und suchte nach irgendeinem Hinweis darauf, wer die Frau war, nach irgendetwas, was ihm vorher möglicherweise entgangen war. Er hatte bereits eine Liste von allen Müttern angelegt, die ihre Töchter an diesem Tag von der Schule abgeholt hatten, und Nachforschungen über sie angestellt, aber keine wies einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit auf, der sie mit dem Gangster in Verbindung bringen konnte.
Er drückte die Play-Taste und merkte, wie sich sein Magen verkrampfte, als würde er sich gegen einen Hieb wappnen. Crawley steuerte jetzt mit seinem großspurigen, schaukelnden Gang wieder auf die Schule zu und stellte sich direkt vor die Kamera über dem Haupteingang. Er ging so nah heran, wie er konnte, und salutierte spöttisch demjenigen, der sich diesen Film garantiert ansehen würde – Ryan.
Ryan drückte auf die Standbildfunktion. Crawley befand sich etwa einen Meter vor der Linse, sein Gesicht hager und voll trotzigem Hass, seine Botschaft unmissverständlich: »Du willst mir ans Leder, dann schnapp ich mir deine Tochter.«
»Ruhe in Frieden«, zischte Ryan.
Katie kam herein, und er schaltete schnell aus und setzte sich auf. Cassie erhob sich, wedelte mit dem Schwanz und presste ihre Schnauze in die Hand der Kleinen.
»Alles in Ordnung, mein Schatz?«, fragte er.
Sie ging weiter, ohne ihn zu beachten, und ihre kornblumenblauen Augen blickten wie in Trance, als hätte sie Kopfhörer auf und lauschte einer geheimen Begleitmusik. Dann kniete sie sich neben Cassie, legte die Arme um ihren Hals und lehnte den Kopf an ihre Seite. Cassie entwand sich ihr, um ihr übers Gesicht zu lecken.
Katie fing an, methodisch über das lange Fell des Hundes zu
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