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Opferspiel: Thriller (German Edition)

Opferspiel: Thriller (German Edition)

Titel: Opferspiel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niamh O'Connor
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der Disco abholen …
    Er hatte sie auf dem Bordstein hockend angetroffen, den Kopf zwischen den Knien, weil die ganze Straße sich drehte. Sie kam nie dazu, sich angstvoll zu fragen, was er wohl von ihr dachte, als er sie in diesem Zustand sah. Dieser kleine Initiationsritus hätte am nächsten Morgen stattfinden sollen, zusammen mit einem höllischen Kater, dem Auftragen von Zinksalbe gegen ihren Ausschlag von den Bartstoppeln und den eingehenden Beratungen mit ihren Freundinnen darüber, ob der Cure-Freak sie anrufen würde. Stattdessen lag sie in einem Krankenhausbett und betete, dass sie jeden Moment aufwachen und ihr Vater nicht unten in der Leichenhalle liegen möge.
    Später konnte sie sich nicht dazu überwinden, ihrer Mutter oder Schwester zu gestehen, was passiert war. Sie hatte während der Fahrt die Beifahrertür aufgestoßen, um sich hinauszulehnen und auf die Straße zu kotzen. Der Arm ihres Vaters, noch im Schlafanzugärmel, war vorgeschossen in der Absicht, die Tür wieder zuzuziehen, und dabei war das Auto von der Spur abgeschwenkt und in einen entgegenkommenden Lastwagen gerast.
    Jo hatte nie einer Menschenseele davon erzählt, noch nicht einmal Dan. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass sie sich deshalb so gut in einen Killer hineinversetzen konnte, weil sie selbst einer war?
    Nachdem sie körperlich wiederhergestellt war, fing sie an, in die Gemäldegalerie zu gehen, weil es nur dort als ge sellschaftlich akzeptabel galt, vollkommen still dazustehen, und man nicht gleich für einen Spinner gehalten wurde. Um sie herum ging alles seinen gewohnten Gang, während sie immer wieder die Geräusche dieser Nacht hörte, wie einen Ohrwurm, den man nicht aus dem Kopf bekommt: der einzelne Absatz, der bei jedem zweiten Schritt klickte, als sie zum Auto ihres Vaters ging, denn sie hatte einen Schuh verloren, die Hupe des Lasters, ohrenbetäubend wie ein Nebelhorn, Reifenquietschen, berstendes Blech und splitterndes Glas, ein hohles Rauschen, als ihr Vater durch die Windschutzscheibe geschleudert wurde, und ein Geheul, das fast im Heulen der Alarmanlage unterging – sie selbst.
    Wer war sie vor dieser Nacht, in der ihr Vater starb?, fragte sich Jo. Jemand, den sie nie richtig kennenlernen konnte.
    Wer war sie danach? Ein ganz anderer Mensch, der auf der Stelle sein Augenlicht geopfert hätte – sie hatte eine Hornhaut-Transplantation benötigt –, wenn ihm das die Schuldgefühle des Überlebenden genommen hätte.
    Ihre Mutter und Sue waren ein paar Jahre danach, als sie bereits achtzehn war, nach Australien ausgewandert, um »die Vergangenheit hinter sich zu lassen«. Sie hatten mit Engelszungen auf Jo eingeredet, dass sie mitkommen sollte, aber sie konnte ihren Vater nicht allein lassen, nicht in einem kalten Grab, zumal sie es war, die ihn dorthin gebracht hatte. Außerdem war sie das Gefühl nicht losgeworden, dass die beiden ohne sie eine bessere Chance auf einen Neuanfang hatten.
    Der Geruch hier hatte sich in zwanzig Jahren nicht verändert, immer noch genau das gleiche Mischungsverhältnis von Staub und Holzpolitur, stellte Jo fest, als sie aus dem Aufzug in den zweiten Stock trat. Beim Durchqueren des Beit-Flügels wurde ihr bewusst, dass vermutlich alle Entwicklungen in ihrem Erwachsenenleben auf diesen Unfall zurückzuführen waren. Die Geburt ihres Sohnes Rory und die Heirat mit Dan, als sie noch keine zwanzig war – eine Schnelllösung, um ihre verlorene Familie zu ersetzen. Die tiefe Verbundenheit, die sie mit Opfern von Gewalttaten fühlte, weil sie Schmerz und Trauer aus eigener Erfahrung kannte, und selbst ihr Eintritt in den Polizeidienst, mit dem sie sich auf eigene Füße stellen wollte.
    Aus dem Augenwinkel wurde sie auf das Gemälde am Ende der Bogengänge aufmerksam und sah sich beim Umdrehen dem Caravaggio gegenüber, der sensationellsten Neuerwerbung der Galerie. Sie war noch nicht mit vielen Werken Caravaggios in Berührung gekommen, wusste aber über dieses gut Bescheid, weil es lange für eine Fälschung gehalten worden war und seit den Dreißigerjahren in einem Speisesaal der Jesuiten in der Leeson Street gehangen hatte, bis seine kürzliche Wiederentdeckung großen Wirbel in der Kunstszene hervorgerufen hatte.
    Jo ging darauf zu, bis sie so dicht davorstand, dass sie den Farbauftrag berühren konnte. Nicht einmal eine Kordel zwischen Messingständern trennte sie von den mondbeschienenen Gesichtern der sieben lebensgroßen Figuren, die alle im Profil dargestellt waren, mit

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