Opferspiel: Thriller (German Edition)
streicheln.
Ryan lächelte, aber in seinen Augen standen Tränen.
»Daddy?«, fragte sie plötzlich und hockte sich auf die Fersen.
»Ja?«, antwortete er automatisch.
»Können Hunde weinen?«
Ryan starrte sie an. Hatte sie wirklich gesprochen? Er wollte aufspringen und sie herumwirbeln, blickte fassungs los von ihr zu dem Hund.
»Träumen sie so wie wir?«
»Ja«, sagte er sanft und kniete sich neben sie. »Auf ihre Art, ja.« Er begann schwer zu atmen.
»Was bringt sie denn zum Weinen?«
Er nahm ihre Hand. »Wenn sie sich verloren fühlen, mein Schatz. Und Angst haben. Und Schmerzen. Genauso wie wir.«
Katie drückte Cassie wieder an sich. Er sah, wie ihre Augen sich verschleierten und küsste sie auf den Kopf, um den Kontakt zu ihr zu halten. Doch sie fing an, in seinen Armen zu zittern, zuerst nur leicht, dann immer stärker.
Angie tauchte in der Tür auf und stürzte herbei, um ihn von ihr wegzuziehen. »Lass sie los, Ryan! Was machst du da? Hör auf!«
Er stand auf und versuchte, es ihr zu erklären. »Nein, du verstehst das falsch. Sie hat gesprochen … Sie hat gesagt …«
Doch Katie rollte wild mit den Augen.
»Ruf den Notarzt«, befahl Angie. »Sie hat einen Anfall. Wir müssen sie flach hinlegen! Verdammt noch mal, Ryan, ruf schon an!«
11
Nachdem sie mit dem uniformierten Beamten gesprochen hatte, der die Absperrung vor dem Balkon bewachte und ihre Ankunftszeit protokollierte, duckte sich Jo unter dem blau-weißen Band mit der Aufschrift »Polizeilich abgeriegelter Tatort – kein Zutritt« hindurch und betrat die Wohnung, in der sie Rita gefunden hatte. Sie schloss die Tür hinter sich. Die Leiche war weggebracht worden, die Spurensicherung beendet. Aber falls der Täter irgendwelche Fehler gemacht hatte, würde sie Hinweise darauf am wahrscheinlichsten hier finden. Sollte es tatsächlich derselbe sein, der bei Ritas Mutter geklingelt hatte, dann war er überaus dreist, und es bestand die Hoffnung, dass er zu dem Zeitpunkt, als er Rita hier überfallen hatte, nachlässig geworden war.
Jo ballte die Fäuste, während sie sich für den nächsten Schritt bereit machte. Sie wollte die Welt mit seinen Augen sehen, wollte fühlen wie er. Es graute ihr vor dieser emotionalen Tortur, aber sie würde alles tun, was nötig war, um ihm auf die Spur zu kommen. In den letzten anderthalb Jahren war sie beruflich auf der Stelle getreten, weil ihr Privatleben den Bach runterging. Das hier war ihre erste Chance, sich richtig in einen Fall hineinzuknien, und ihr Adrenalinspiegel stieg merklich an. Dan hatte gestern Abend zu Recht über sie gelacht – ihr Beruf machte einen großen Teil ihrer Identität aus.
Während sie gestern an dieser Stelle nach dem Lichtschalter gesucht hatte, machte sie heute die Augen zu und dachte an das, was sie über Rita wusste. Sie stellte sich die Blicke vor, die Rita getroffen hatten, als sie ihren letzten Bus in der Aufmachung bestieg, die ihren Beruf so deutlich herausschrie, als trüge sie ein Schild um den Hals. Wenn der Bus voll gewesen war und sie sich neben jemanden auf einen Zweiersitz gesetzt hatte, war der andere Fahrgast vermutlich aufgestanden und weggegangen, damit man nicht dachte, dass er zu ihr gehörte. Jo fragte sich, wie jung Rita gewesen war, als ihr Vater sie zum ersten Mal missbraucht hatte. Jetzt war sie bereit …
Sie öffnete die Augen und legte eine Hand an die Tür. »Du bist schon wütend auf sie, als du hier ankommst, stimmt’s?«, fragte sie laut. »Deshalb bist du mit Gewalt eingedrungen. Es ist klar, dass sie eine Nutte ist. Rita Nulty hat kein Recht, Nein zu sagen. Warum tut sie es dann? Weil sie dich kennt, nicht wahr? Sie weiß, wozu du fähig bist. Du bist jemand, vor dem sie Angst hat. Warum hättest du sonst die Tür aufbrechen müssen?«
Jo zog Notizbuch und Stift aus ihrer Lederjacke und kritzelte: Streetworker nach gewalttätigen Angriffen in letzter Zeit fragen?
Sie sah zu dem Couchtisch hin, auf dem sie das Kokain gefunden hatte und der jetzt mit metallgrauem Fingerabdruck-Puder bedeckt war. »Behältst du den Gegenstand, mit dem du eingebrochen bist, in der Hand, oder legst du ihn ab?«, murmelte sie. »Ja, du legst ihn erst mal ab. Sie soll sich beruhigen. So eine Zeremonie erfordert einige Vorbereitung, deshalb hast du ein Friedensangebot mitgebracht. Allerdings kannst du nicht zulassen, dass sie es wirklich schnieft, stimmt’s? Das könnte sie zu sehr aufputschen, sie könnte sich heftig wehren. Dazu hast du zu viel zu
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