Opferspiel: Thriller (German Edition)
ringförmig eingezäunten Bürocontainern. Das Ganze sah eher aus wie ein Verkaufsareal für Gebrauchtwagen als wie ein städtisches Leichenschauhaus. Zwei der Container wurden von dem staatlich bestellten Pathologen für Verwaltungszwecke genutzt, während in dem dritten die Autopsien durchgeführt wurden. Dieser Zustand war jetzt schon seit beinahe einem Jahrzehnt »vorübergehend«, doch wenn die Familien der Opfer, deren Leben gewaltsam beendet worden war, sehen könnten, wohin sie geschafft wurden, würde es einen Aufschrei geben. Jo fand das typisch für die gesamte Einstellung der Justiz gegenüber Verbrechensopfern, die auf dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« zu basieren schien.
Das Team wartete auf sie in einem Streifenwagen. Mac und Sexton bissen gerade herzhaft in traditionelle irische Frühstücksbrötchen, die mit Speck, Würstchen, Ei, gebratenen Tomaten- und Kartoffelscheiben belegt waren. Foxy dagegen hatte nichts zu essen haben wollen, nicht einmal eine Tasse Tee. Das Logo »On the Run« auf den Snacktüten verriet Jo, dass die beiden sich ihr Frühstück bei einer Tankstelle ein Stück weiter die Straße hinauf geholt hatten. Die »Kantine« der Leichenhalle nämlich, vom Personal scherzhaft so genannt, bestand lediglich aus einem Toaster und einem Wasserkocher auf einem Fotokopiergerät in einem der vollgestopften Verwaltungscontainer.
»Wie sind Sie vorangekommen? War es unser Mann?«, fragte Mac, als sie sich auf den Beifahrersitz schwang.
Sexton, der hinterm Steuer saß, drehte sich erwartungsvoll zu ihr.
Sie fand das nicht lustig. »Nein, es war für die verdammte Katz, wie Sie verdammt noch mal genau wissen, Mac«, sagte sie und fuhr herum, um ihn anzusehen. »Und das Grinsen wird Ihnen gleich vergehen. Sie sind ab jetzt draußen.«
Mac sah sich nach Unterstützung um, merkte, dass keine kam, und knallte beim Aussteigen die Tür zu. Er stürmte davon und schleuderte sein Sandwich unterwegs in eine Mülltonne auf Rollen.
Foxy nahm einen Kaffee aus der Papphalterung, die wackelig zwischen den Vordersitzen stand, und reichte ihn Jo. »Ich muss mit dir darüber reden, was gestern passiert ist, als ich bei Rita Nultys Mutter war«, sagte er.
»Wieso? Was denn?«, fragte Jo gespannt.
Sexton deutete durch die Windschutzscheibe auf einen jungen Mann mit einem gepflegten Bart und einem weißen Kittel, der sie in den Autopsiecontainer winkte.
»Okay, berichte mir hinterher.« Jo nahm den Kaffee und hielt ihn, als sie ausstieg, auf Abstand zu ihrem Sonntagsstaat.
Nachdem sie weiße Papieroveralls übergezogen und sich parfümierte Vaseline unter die Nase gerieben hatten, gingen sie nacheinander in den neutralen grauen Raum. Er maß zehn mal fünfzehn Meter und enthielt fünf Kühlzellenelemente, von denen jedes drei Leichen aufnehmen konnte. Eine Rinne im Boden leitete das Wasser von den Spritzschläuchen zu einem Abflussgitter. Drei Rollbahren aus Edelstahl verliehen dem Umgang mit dem Tod hier etwas Fließbandartiges, obwohl immer jeweils nur eine Obduktion ausgeführt wurde.
Bei Rita Nultys sterblichen Überresten stand Professor Michael Hawthorne, der weißhaarige leitende Pathologe, der seit zwanzig Jahren der führende Experte des Landes für Mordopfer und verdächtige Todesfälle war.
Jo hatte ihm die Todesumstände bereits am Telefon geschildert. Nun war es Hawthornes Aufgabe, ihr zu sagen, wann Rita aller Wahrscheinlichkeit nach gestorben war, wie alt ihre Verletzungen waren, ob sie ante oder post mor tem zugefügt worden waren, und wie sie gestorben war. Jo hoffte außerdem auf Angaben über die benutzte Waffe, die vergangene Zeit zwischen der Verursachung der Wunden und dem Tod sowie den Drogen- oder Alkoholgehalt im Blut. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie vielen Autopsien sie schon beigewohnt hatte. Die Prozedur war nie leicht zu verkraften, aber man konnte sich nicht davor drücken. Es ergaben sich stets Fragen dabei, auf die man sonst nicht gekommen wäre.
Nach der Autopsie würde Ritas Gesicht »hergerichtet« werden, um die Angehörigen nicht unnötig zu belasten und um ein »lebensechteres« Foto für die Akten zu erhalten. Ihre Haare würden gesäubert und gekämmt werden, ihr Gesicht gewaschen, ihre Lippen mit einer karminroten Alkohollösung gefärbt und ihre Wangen mit ein wenig Rouge geschminkt werden. Die Totenflecken würde man mit Talkumpuder abdecken. Die Augen wurden nur dann offen fixiert, wenn eine Leiche nicht identifiziert worden war, sodass man
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