Opferspiel: Thriller (German Edition)
langen.
Sie öffnete einen der Pinienschränke im mexikanischen Stil, bemerkte, dass ein Scharnier sich gelöst hatte, und überschlug, dass es mindestens zehn Jahre her war, seit Dan die Elemente eingebaut hatte. Wo war diese Zeit hin? Sie holte eine Flasche Powers und ein Whiskeyglas heraus und schenkte sich großzügig ein. Fast zwei Jahre lang hatten sie für diese traditionelle Landhausküche geknausert und gespart. Sie trank einen Schluck Whiskey und freute sich beinahe widerwillig an der Einrichtung. Auswärts essen, Urlaube, selbst der gelegentliche Frisörbesuch waren geopfert worden, um genug zusammenzukratzen, damit sie ein Darlehen von der Kreditgenossenschaft bekamen. Trotzdem hätten sie sich die Küche nie leisten können, wenn sie noch einmal so viel für einen Schreiner hätten ausgeben müssen, aber Dan war ein ausgezeichneter Heim werker. Er hatte auch den Fußboden gelegt, obwohl er seine Zweifel hinsichtlich der von ihr ausgesuchten Fliesen gehabt hatte: dunkelrote und flaschengrüne im Schachbrettmuster, was aber am Ende einen wirklich tollen Effekt ergab. Und wer gesehen hätte, wie sie feierten, als sie eine originale viktorianische Topfhalterung bei einem Kofferraum-Flohmarkt ergattert hatten, hätte sie für total plemplem erklärt. Noch Jahre danach hatte sie jedes Mal, wenn sie in die Küche kam, eine kleine Aufwallung von Stolz auf das Zuhause empfunden, das sie für sich und Rory geschaffen hatten.
Versonnen blickte sie in den Whiskeyrest, den sie auf dem Glasboden herumschwenkte. Damals war sie davon ausgegangen, dass diese Küche das Herzstück eines Heims sein sollte, das sich im Laufe der Jahre mit weiteren Kindern füllen würde. Was war nur passiert? Warum hatte es für Dan nie den richtigen Zeitpunkt gegeben? Die lahme Ausrede, dass er nicht jünger wurde – er war zehn Jahre älter als sie –, hatte nicht gegolten, als er noch in den Dreißigern war. Damals war es immer der berufliche Druck wegen eines wichtigen Falls gewesen. Bei einem ihrer letzten großen Streits vor ihrer Trennung hatte er endlich zugegeben, dass es ihm widerstrebte, noch ein Kind aufzuziehen, nun, da sie allmählich wieder ihr eigenes Leben führen konnten. Nach Jos Auffassung dagegen war ein Leben ohne Kinder kein Leben. Familie bedeutete ihr alles. Wie habe ich es dann geschafft, meine zu verlieren?
Sie kippte den letzten Schluck herunter, besorgte sich Stift und Notizblock aus einer Schublade und setzte sich auf einen Hocker am Küchentresen. Es wurde Zeit, an ihrer Verteidigung für die Entwendung von Rita Nultys Geld zu arbeiten. Nachdem sie eine Weile auf das leere Blatt gestarrt hatte, drehte sie seufzend den Deckel der Whiskeyflasche wieder ab und schenkte sich noch ein Glas ein.
Die amberfarbene Flüssigkeit wärmte sie von innen, und ihre Gedanken schweiften zu dem Glücksgefühl ab, das sie beim Anblick des kleinen blauen Kreuzes auf dem Schwangerschaftstest durchflutet hatte. Sie war wieder schwanger, mit Harry. Ihre Wangen wurden heiß, als sie sich daran erinnerte, wie schockiert und verletzt – ja, und verdammt gedemütigt – sie nach Dans Reaktion gewesen war, die vollkommen gegenteilig ausfiel. Er hatte sie doch tatsächlich gebeten abzutreiben! Genau hier, am Küchentisch. Er hatte seine Finger mit ihren verschränkt, ihr in die Augen gesehen und es ohne Umschweife gesagt. »Du musst es nicht bekommen. Wir haben doch ein gutes Leben. Warum sollten wir uns das jetzt verderben?«
Jo legte die kühlen Handrücken an ihre Wangen, damit die Wuthitze sich nicht weiter ausbreitete, selbst jetzt noch, nach fast zwei Jahren. Sie hatte entgegnet, dass das überhaupt nicht in Frage komme, und versucht, ihm klarzumachen, wie sehr sie sich nach dem Baby gesehnt hatte, darauf hoffend, dass er es verstehen und akzeptieren würde. Doch er war stur geblieben, hatte sich geweigert, darüber zu sprechen, bis das ewige Sichanschweigen sie zermürbte. Irgendwann wurde es so schlimm, dass sie Dan bat auszuziehen. Sie wollte diese Schwangerschaft genießen, denn sie wusste, es würde ihre letzte sein. Die Trennung war von ihrer Seite nie auf Dauer geplant gewesen; sie konnte doch kaum bis zum nächsten Tag denken ohne ihn, aber so war es gekommen.
Eine kurze Zeit lang – vierundzwanzig Stunden, um genau zu sein – hatte sie sogar geglaubt, dass sie ihre Differenzen beilegen und wieder zusammenkommen könnten. Am Tag von Harrys Geburt hatte Dan seinen Sohn auf den Arm genommen und sie um Verzeihung
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