Opferspiel: Thriller (German Edition)
signalisierte, dass sie eine Zeitung nahm, und reichte ihm das Geld durchs Fahrerfenster.
Die Druckerschwärze stank, worauf ihr Magen sich wieder meldete, und das Lesen tat ihr weh, doch sobald sie die Schlagzeile entziffert hatte, wusste sie die gute Nachricht: Sie hatten soeben Ritas Mutter gefunden. Das Blatt brachte ein Exklusivinterview mit dem Titel: »Meine Tochter war keine Hure«. Die alte Mrs. Nulty war vermutlich von den Reportern in einem Hotel versteckt worden, damit die Konkurrenz ihre Story nicht ausschlachtete, bevor sie erschien. Das bedeutete, sie wurde nicht länger vermisst.
Die schlechte Nachricht war, dass die kleingedruckten Zeilen vor ihren Augen tanzten und ihr nun richtig übel wurde. Die Migräne war im Anmarsch.
31
Katie teilte sich im Crumlin-Kinderkrankenhaus ein Zimmer mit einem Kleinkind, das aufgrund seiner schweren Erkrankung nur vor sich hin vegetierte. Es war im Wachstum zurückgeblieben, und eine Sonde in seinem Magen brachte es jedes Mal zum Erbrechen, wenn die Schwestern einen Tropf mit Nährlösung anschlossen. Die Kleine erbrach sich auch jetzt gerade in ihrem Bettchen und machte ein röchelndes Geräusch, das Ryan bestimmt nie vergessen würde. Geburtstagsluftballons hingen an Schnüren über ihr und verrieten ihm, dass sie vor Kurzem zwei geworden war, dabei hätte er sie gerade mal auf ein halbes Jahr geschätzt. Er fragte sich, wer die Ballons gekauft hatte, die Schwestern oder die Familie? Und wo waren die Eltern jetzt? Er klingelte nach der Schwester und dachte, dass es anscheinend Leute gab, die in einer noch erbärmlicheren Lage waren als er selbst …
Seine Empörung wunderte ihn, aber er verstand sofort, woher sie kam. Dass ausgerechnet er die mangelnde Fürsorglichkeit anderer Eltern kritisierte, war ein starkes Stück. Wenn er es sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, die kriminellen Aktivitäten der Unterwelt anzuprangern, hätte Katie sich heute Morgen für die Schule fertig gemacht wie sonst, hätte das Haus auf den Kopf gestellt, weil sie ihr Aufgabenheft nicht fand, hätte verlangt, dass die Kruste von ihrem Pausensandwich abgeschnitten wurde und darum gebettelt, bei ihrer besten Freundin übernachten zu dürfen. »Bitte, bitte, bitte«, hätte sie ihn mit großen Augen umgarnt, und natürlich hätte er nachgegeben. So aber hatten die Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hatte, ihr Leben unwiderruflich überschattet.
Eine Schwester kam herein und hob das Geburtstagskind aus seiner Lache von Erbrochenem. Es war eine irische Krankenschwester, ein Zeichen dafür, wie die Zeiten sich geändert hatten. Vor der Wirtschaftskrise waren es immer Inderinnen oder Philippinerinnen gewesen. Wenigstens waren sie auf der Kinderstation alle freundlich und nicht solche angsteinflößenden Dragoner wie in der Geriatrie.
»Kann ich helfen?«, fragte er die Schwester.
Sie schüttelte den Kopf und drückte auf die Klingel. Eine weitere Schwester kam, riss die Bettwäsche herunter und stopfte sie in sterile Plastiksäcke. Freeman hörte, wie sie das kleine Mädchen beruhigten, indem sie seinen Namen sagten – Tallulah. Er schüttelte den Kopf. Was für Eltern gaben einem Kind ohne Lebenserwartung den ausgeflippten Namen eines Hollywood-Starlets?
Er setzte sich auf den Stuhl neben Katies Bett und sah ihr beim Schlafen zu. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, als er ihr übers Haar streichelte. Sie war mit Hilfe künstlicher Befruchtung gezeugt worden, weil Angie und er offenbar zu lange mit dem Kinderkriegen gewartet hatten. Die Mühen, die sie auf sich genommen hatten, um sie zu bekommen, und das schöne, behütete Leben, das sie für sie geplant hatten, machten seine Schuldgefühle nur um so drückender.
Sie war gestern nach dem krampfartigen Anfall eingewiesen worden und wartete nun auf ein EEG , mit dem festgestellt werden sollte, ob irgendein dauerhafter Hirnschaden vorlag, der den »Kurzschluss in ihren Schaltkreisen«, wie einer der Ärzte es ausgedrückt hatte, verursacht haben könnte.
Ryan sah auf die Wanduhr. Es war fast sieben Uhr abends, und Angie würde jede Minute kommen. Prompt erschien sie an der Tür, dünn und übermäßig zurechtgemacht. Sie drehte angewidert den Kopf weg, als der Kotzegeruch ihr in die Nase drang.
»Es tut mir leid, so etwas können wir nicht hinnehmen«, sagte sie zu der irischen Krankenschwester. »Ich möchte nicht herzlos erscheinen, aber diese Umgebung kann nicht gesund für Katie sein, bei all den Keimen und
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