Opfertod
dem Lichtstrahl ihrer Taschenlampe durch verstreut liegende Bierdosen und ausgebreitetes Zeitungspapier, leuchtete in die düsteren Parzellen, die dicke Steinwände voneinander trennten. »Hat dieser Exkollege am Telefon auch erwähnt, wer sie gefunden hat?«
»Irgendein Obdachloser, der hier hin und wieder übernachtet«, wusste Belling. »Offenbar hat er sie zunächst für eine Pennerin gehalten, die seinen Schlafplatz einnehmen wollte. Als er aber gesehen hat, dass sie nackt war – und dazu noch das viele Blut –, hat er’s mit der Angst zu tun bekommen und die Polizei alarmiert.«
Nachdenklich nickte Lena und ging weiter voran. »Wissen wir schon, wer die Tote ist?«
Belling hob eine herumliegende Schachtel Marlboros auf. Als er sah, dass sie leer war, warf er sie wieder zurück auf den Boden. Plötzlich huschte etwas blitzschnell an Lena vorbei. Ratten.
»Soweit ich weiß, handelt es sich um eine Zweiunddreißigjährige namens Mandy Heart«, sagte Belling.
Lena blickte ihn an. »Mandy Heart – klingt nicht gerade, als sei das ihr echter Name.«
»Denke ich auch nicht«, sagte er und tastete im Weitergehen seine Jacketttaschen nach Zigaretten ab. Doch offenbar hatte er sie im Wagen gelassen.
»Sie hat als Kellnerin im Delirium gearbeitet, irgend so einem schnieken Club in der Nähe des Ku’damms. Es geht das Gerücht um, den gut betuchten Gästen würde dort weitaus mehr geboten als nur überteuerte Drinks …«
»Verstehe«, murmelte Lena und leuchtete mit ihrer Taschenlampe umher. Heruntergerissene Kabel hingen von der Decke, und der stechende Gestank wurde zunehmend stärker. Doch da lag noch etwas anderes in der Luft. Lena spürte, wie sich ihr regelrecht die Eingeweide zusammenzogen. Es war der Geruch von ausgelöschtem Leben, der ihr schon so oft an Tatorten begegnet war. »Dort hinten muss es gewesen sein«, erklärte Belling und ging voran. Lena folgte ihm zu dem abseits gelegenen Raum, dessen Türrahmen mit polizeilichem Flatterband versperrt war.
»Lassen Sie mich raten, sie war gefesselt, hatte die üblichen Prellungen, Schnittwunden und Quetschungen.«
»Keine Ahnung. Bei den Details muss ich leider passen«, sagte er, ehe er wie versteinert an der Türschwelle stehen blieb. Seine Taschenlampe zeigte in den Raum. »Gütiger Himmel! Sehen Sie sich das ganze Blut an – das Schwein hat dieses Mädchen regelrecht abgeschlachtet …«
Als Lena unmittelbar nach ihm den Raum erreichte, schluckte sie die Magensäure hinunter, die bei dem Anblick in ihr aufstieg. Sie verscheuchte eine Schmeißfliege von ihrer Schulter, bückte sich unter dem Absperrband hindurch und ließ den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe durch den Raum gleiten. Inspizierte jeden Quadratmeter des blutbespritzten Raums, während sie sich vor Augen zu führen versuchte, was diese Frau an diesem unseligen Ort durchlitten haben musste. Es war, als könnte sie ihre Angst förmlich spüren, das Echo ihrer Todesschreie noch immer hören.
»Wie geisteskrank muss man sein, um einem Menschen so etwas anzutun …«, ächzte Belling.
»Auch Geisteskranke haben ihre Gründe für das, was sie tun«, murmelte Lena und legte einen Moment lang nachdenklich ihren Zeigefinger an die gespitzten Lippen. Dann erhob sie sich und sagte: »Doch wer auch immer das getan hat, es war nicht das Werk unseres Täters.«
»Was?« Entsetzt leuchtete er ihr mit seiner Taschenlampe ins Gesicht.
Lena schirmte ihre Augen mit der Hand gegen das Licht ab und wies mit dem Kinn in den Raum. »Was wir hier sehen, geschah vollkommen unkontrolliert«, erläuterte Lena und leuchtete abermals durch den Raum. »Dieser Täter ist wahllos über das Opfer hergefallen und dabei in einen regelrechten Rausch geraten. Aber unser Täter geht anders vor. Er hat gelernt, sich zu kontrollieren, und handelt stets nach dem gleichen Muster: Er nimmt sich nur das, was er braucht, und lässt den Rest zurück.« Sie zog einen Mundwinkel hoch und sagte: »Das ist höchstwahrscheinlich auch der Grund, weshalb er noch immer nicht geschnappt worden ist.«
Belling schüttelte erstaunt den Kopf und stieß einen Pfiff aus. »Sind Sie sicher?«
Sie nickte.
»Dann sind wir hier also auf der falschen Baustelle – meinen Sie, es besteht ein Zusammenhang?«, fragte er skeptisch.
»Das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Für einen Nachahmer sind die Ausführungen der Taten zu verschieden, und für einen rivalisierenden Täter gibt es zu wenig Hinweise, die seine Handschrift
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