Opfertod
aufgestützten Hand und schüttelte über sich selbst den Kopf. »Suzanna und ich, wir hatten damals Angst, tierisch Ärger zu bekommen, daher hatten wir uns geschworen, es niemandem zu verraten …«, holte sie aus, während sie die Blicke von Wirt und Belling auf sich spürte. »Es war an einem stürmischen Sonntagnachmittag … Trotz des Unwetters wollten Suzanna und ich unbedingt zur Boje rausschwimmen … Suzanna hat am Ufer gestanden, wollte doch noch umkehren, während ich Sturkopf schon im Wasser war. Ich habe nicht nachgedacht, bin einfach drauflosgeschwommen, habe mich durch die hohen Wellen gekämpft und mich immer weiter vom Ufer entfernt …«
Ariane Wirt stand auf, um den pfeifenden Kessel vom Herd zu nehmen, ohne Lena dabei aus den Augen zu lassen.
»Ich muss weder die Erschöpfung noch die Kälte wahrgenommen haben«, fuhr Lena zögerlich fort. »Und auf den letzten Metern vor der Boje ist es dann schließlich passiert …« Sie schluckte und tat einen tiefen Atemzug. »Ich habe plötzlich einen Krampf bekommen. Habe geschrien und verzweifelt mit den Armen gerudert, aber die Wellen sind immer wieder über mir zusammengeschlagen. Und ehe ich mich’s versah, hatte ich die Orientierung verloren. Ich bin vollkommen panisch geworden und habe mit letzter Kraft versucht, mich irgendwie über Wasser zu halten …« Lena verstummte eine Sekunde und schüttelte erneut den Kopf. »Wäre Suzanna mir damals nicht zu Hilfe gekommen …« Sie sah aus schmalen Augen zu Wirt auf. »Ihre Tochter hat mir damals das Leben gerettet.«
Schweigen legte sich über den Raum.
»Danke, dass Sie mir das erzählt haben«, durchbrach Ariane Wirt die entstandene Stille. »Das bedeutet mir sehr viel.«
Lena nickte und erhaschte einen überraschten Blick von Wulf Belling, als sei ihm erst durch ihre Erzählung endgültig klargeworden, weshalb sie den Fall unbedingt lösen wollte. Dann fragte er mit einem Räuspern an Wirt gewandt: »Seit wann wohnen Sie eigentlich in Berlin?«
Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken und dachte nach. »Schon mehr als ein Jahrzehnt. Mein Mann ist damals hierher versetzt worden«, erklärte sie mit brüchiger Stimme, und Lena sah, dass ihre Hände zitterten, als sie den Tee aufgoss. »Eigentlich haben Suzanna und ich das Haus alleine bewohnt. Wie ich Lena schon am Telefon erzählt habe, hat sich Konrad nur wenige Monate nach unserem Umzug nach Berlin von mir scheiden lassen.« Mit zusammengepressten Lippen stellte sie den Kessel zurück auf die Herdplatte. »Er hat es nie zugegeben, aber wenn Sie mich fragen, war da jemand anders im Spiel.«
Alarmiert sah Belling auf, schwieg aber.
Wirt schüttelte den Kopf. »Was soll’s – Suzanna und ich sind sehr gut ohne ihn klargekommen.« Sie stellte Lena die dampfende Teetasse hin. Mit reichlich Zucker und ohne Milch.
»Danke«, sagte Lena und behielt ihr freundliches Lächeln bei. »Mit was für Leuten war Suzanna denn so zusammen?«
Ariane Wirt nahm auf dem Stuhl Platz, der im rechten Winkel zu Lena und Belling stand. »Keine Ahnung.«
Lenas und Bellings Blicke kreuzten sich. »Wie war Suzanna denn so in letzter Zeit?«, hakte Lena nach. »Ist ja schon ewig her, dass ich sie zuletzt gesehen habe.«
Sie sah, wie es in Suzannas Mutter arbeitete. »Tja, also ganz normal, würde ich sagen.«
»Hatte Suzanna einen festen Freund?«, schaltete Belling sich ein. »Oder hat sie vielleicht mal eine Bekanntschaft aus dem Internet erwähnt?«
Erneut antwortete Ariane Wirt mit einem Achselzucken.
Sie schien nicht die geringste Ahnung vom Leben ihrer Tochter zu haben.
»Fiel irgendwann einmal der Name Ferdinand Roggendorf oder ›Dark Armon‹?«, fragte er weiter.
»Nein, wer soll das sein?«
»Jemand, der uns aus dem Chat bekannt ist«, unterbrach Lena.
Ariane Wirt stand auf, um das Foto von Suzanna zurück auf die Fensterbank zu stellen. Sie starrte einen Moment lang abwesend in den Garten hinaus, ehe sie sich zu Lena umwandte und unverhofft fragte: »Sind Sie noch hin und wieder in Fischbach?«
»Ich … äh, nein.« Die Frage hatte Lena kalt erwischt. Schon allein die Vorstellung, noch einmal auch nur in die Nähe dieses Orts zu gelangen, schnürte ihr die Brust zu.
»Und was ist mit Ihrer Schwester?«, fragte Ariane Wirt. »Ist die auch nach Berlin gezogen?«
Lena verneinte und rührte beiläufig ihren Tee um, während sich ihr Unwohlsein verstärkte. Dennoch hielt sie es für angebracht, die Karten auf den Tisch zu
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