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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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tatsächlich in diesem Sanatorium aufhält?«
    Lena stützte den rechten Ellenbogen auf dem Tisch ab und wiegte ihr Kinn in der Hand, während sie nachdenklich in ihrem Espresso rührte. »Selbstverständlich«, meinte sie und sah auf. »Aber wie Sie sich sicher vorstellen können, ist das Personal in psychiatrischen Einrichtungen nicht sonderlich auskunftsfreudig in Bezug auf Patienten.«
    Das leuchtete Belling ein. »Ärztliche Schweigepflicht«, setzte er seufzend hinzu.
    Erneut nickte Lena. »Und leider reichen meine Kontakte nicht bis nach Schottland.« Sie holte ihr Notizbuch hervor und schrieb sich die Adresse des Sanatoriums ab. Dann schob sie Belling den Zettel über den Tisch. »Ich möchte, dass Sie das aufbewahren. Wenn ich in zwei Tagen nicht wieder zurück sein sollte, dann …«
    »Hab schon verstanden.« Er ließ den Zettel in seiner Jacketttasche verschwinden. Dann steckte er sich eine Zigarette zwischen die Lippen, als die Kellnerin den doppelten Espresso und die Eier mit Toast brachte.
    »Entschuldigen Sie, Rauchen ist hier nicht gestattet.« Sie gab sich keine Mühe, ihren genervten Unterton zu verbergen.
    »Ja … richtig«, ächzte Belling und steckte widerwillig die Zigarette weg. Er wollte gerade über seine Eier herfallen, da rief er die Kellnerin plötzlich zurück. »Äh, hallo – junge Frau.«
    »Stimmt was nicht?«, stöhnte die Kellnerin, nachdem sie erneut an den Tisch gekommen war.
    »Mein Speck, Sie haben meinen Speck vergessen.« Ein verzagtes Schulterzucken.
    Mit mürrischer Miene räumte sie den Teller ab. Belling schenkte ihr ein sparsames Lächeln. »Danke sehr.« Er lehnte sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück und blickte der Kellnerin versunken nach. »Ts, Helena hat meinen Speck nie vergessen …«
    »Wie ist es gestern eigentlich gelaufen?«, fragte Lena vorsichtig.
    Belling sah sie an, als sei ihm die Frage unangenehm. Er saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und schüttelte vielsagend den Kopf. »Auf gut Deutsch: beschissen«, stöhnte er und machte mit einer abwehrenden Handbewegung klar, dass er nicht weiter darüber reden wollte.
    Lena nickte und besaß genügend Taktgefühl, nicht weiter zu bohren.
    »Da wäre noch etwas, was ich Sie fragen wollte«, brachte sie stattdessen kleinlaut hervor.
    »Und das wäre?«
    Lena erzählte ihm von Tamara, die in der Nacht wie aus dem Nichts vor ihrer Tür gestanden hatte. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wo ich sie und das Baby unterbringen soll«, erklärte sie ratlos, »ich weiß nur, dass ich sie in meiner Nähe keinem unnötigen Risiko aussetzen will.«
    »Verstehe …« Nachdenklich versenkte er zwei Würfel Zucker in seinem Espresso. »Was halten Sie davon, wenn ich Ihre Schwester mit dem Kind vorerst bei mir einquartiere?«, schlug er vor und richtete sich im Stuhl auf. »Nur übergangsweise natürlich.«
    Verblüfft lächelte Lena. »Bei Ihnen?«
    »Warum denn nicht. Es kann ohnehin nicht schaden, wenn mal wieder etwas Leben in die Bude kommt. Seit Helena fort ist, ist es ganz schön still im Haus.«
    Lena war skeptisch. »Und Ihre Tochter?«
    »Marietta ist so gut wie nie daheim. Und wenn wir uns doch mal über den Weg laufen, haben wir uns nicht viel zu sagen.« Er verschränkte seine Hände auf dem Tisch. »Nein, nein, machen Sie sich deswegen mal keine Sorgen. Außerdem ist im Haus genügend Platz.«
    Doch Lena war sich nicht sicher, ob sie ihm Tamara wirklich zumuten konnte. Aber jegliche Einwände stießen bei Belling auf taube Ohren. »Schlimmer als Marietta kann Ihre Zwillingsschwester wohl kaum sein.«
    Besorgt starrte sie ihn an. Er hatte ja keine Ahnung. Da ihr im Moment aber keine bessere Lösung einfiel, lenkte sie schließlich ein.
    Nachdem die Kellnerin ihm erneut die Eier mit Toast – und dieses Mal mit extra viel Speck – gebracht hatte, fiel Belling darüber her, als hätte er seit Ewigkeiten keine warme Mahlzeit mehr im Bauch gehabt.
    Lena schob ihren Teller beiseite und trank ihren Espresso aus.
    »Essen Sie das etwa nicht mehr?«, fragte er.
    Sie schmunzelte. »Bedienen Sie sich ruhig.«
    Das ließ er sich nicht zweimal sagen und zog den Teller zu sich herüber. Nach einem weiteren Blick auf die Uhr verlangte Lena die Rechnung.
    Als Belling ihre Reste verschlungen hatte, legte er sein Besteck auf den Teller und betrachtete sie einige Sekunden lang unschlüssig. »Können Sie eigentlich schießen?«, fragte er und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab.
    Die Frage überraschte Lena.

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