Opfertod
das nicht wahr ist! Außerdem …« Doch ehe er den Satz beenden konnte, war sie bereits aus dem Bett gesprungen und hatte ihm die Tür vor der Nase zugeknallt.
»Verdammt!« Wütend stampfte Belling auf. Seine Frau hatte er bereits verloren, und nun war er drauf und dran, es sich auch noch mit seiner Tochter zu verderben. Er klopfte an ihre Zimmertür. »Ach komm schon, Jetta.«
»Wie oft denn noch? Nenn mich nicht Jetta!«, drang es durch die Tür, ehe Marietta wieder ihre Heavy-Metal-Musik aufdrehte. Deprimiert starrte Belling eine Sekunde lang auf die Zimmertür. Er hatte die Hand schon zum erneuten Klopfen gehoben, ließ sie dann aber resigniert wieder sinken. Es ist ohnehin zwecklos , sagte er sich und verließ das Haus.
46
Das Bacon ’n’ Cheese lag an einer Straßenecke auf halbem Weg zwischen Friedrichshain und Friedenau und war eines der wenigen Cafés in der Gegend, die schon früh am Morgen geöffnet hatten. Das Interieur war schlicht und unprätentiös, was möglicherweise der Grund dafür war, dass es von Touristen noch weitgehend verschont geblieben war. Es war noch nicht viel los, und Lena hatte sich für einen Tisch am Fenster entschieden, von dem aus sie die Eingangstür im Auge behalten konnte. Sie stocherte appetitlos in ihren Eiern mit Toast und sah ungeduldig auf die Uhr. Inzwischen war es zwanzig vor neun. Belling sollte bald eintreffen. Sie bestellte bei der vorbeieilenden Kellnerin einen weiteren Espresso und ließ ihren Blick erneut zur Tür schweifen. In dem Moment, in dem zwei Männer mit einem Mops an der Leine das Café verließen, trat Wulf Belling ein. Als er Lena sah, steuerte er geradewegs auf sie zu. Ihr fiel auf, dass er wieder die gammelige Freizeitjacke trug statt seines neuen Kordjacketts, woraus sie schloss, dass es ihm bei dem Treffen mit seiner Exfrau kein Glück gebracht hatte.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte Lena mit einem angespannten Lächeln. Belling hängte seine Jacke über die Stuhllehne und nahm ihr gegenüber Platz. Er sah elend aus. Und übermüdet, als hätte er vergangene Nacht zu tief ins Glas geschaut.
»Machen Sie Witze? Ich meine, verdammt – Sie haben gestern Nacht einen Anruf von …« Er verstummte abrupt, als die Kellnerin an ihrem Tisch stehen blieb und Lena einen neuen Espresso servierte.
»Was darf’s für Sie sein?«, fragte sie Belling.
Er schielte auf Lenas Teller. »Bringen Sie mir das Gleiche und einen doppelten Espresso. Ach, und die Eier mit extra viel Speck bitte.«
Die Kellnerin nahm die Bestellung auf und verschwand.
Leicht über den Tisch gebeugt, fragte er: »Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb dieser … Wie nennt der sich noch gleich?«
»Artifex.«
»… weshalb dieser Artifex ausgerechnet Sie angerufen hat?«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort.
Lena schüttelte den Kopf und drehte nachdenklich die Espressotasse in ihrer Hand, während sie das Telefonat noch einmal detailgetreu wiedergab. Sie hob die Tasse, um sie zum Mund zu führen, stellte sie in der nächsten Sekunde aber wieder ab. »Es gibt da noch etwas«, fügte sie zögerlich hinzu. Unbeabsichtigt schwang in ihrem Tonfall Verletzlichkeit mit, als sie sagte: »Er wusste von dem Verkehrsunfall meiner Eltern.«
Das Entsetzen darüber stand Belling ins Gesicht geschrieben. »Woher in Dreiteufelsnamen weiß er davon?« Er klang ernsthaft besorgt.
Lena sah von ihrer Tasse auf. »Ich habe keinen blassen Schimmer«, seufzte sie. »Ich weiß nur, dass ich gleich im Flieger nach Edinburgh sitzen werde, um Dr. Cornelia Dobelli im Sanatorium aufzusuchen.«
Belling verstand überhaupt nichts mehr. »In einem Sanatorium? In Edinburgh?« Er kratzte sich am Kopf. »Wie zum Henker haben Sie das jetzt rausgefunden?«
Lena begann zu erzählen, und Belling kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als sie ihm von Lukas und seinen beeindruckenden Fähigkeiten als Hacker berichtete. Dann zog sie den Zettel mit der Anschrift des Eastfield-Sanatoriums hervor, den Lukas unter ihrer Wohnungstür hindurchgeschoben hatte.
Irritiert sah Belling auf. »Da steht, Dr. Dobelli hält sich dort als Patientin auf.«
Lena nickte.
»Ich weiß nicht, irgendetwas gefällt mir an der Sache nicht«, brummte er und warf Lena einen misstrauischen Blick zu. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie diesem Lukas trauen können?«
»Nein.« Doch ihr Bauchgefühl sagte das Gegenteil. »Aber mir bleibt wohl kaum eine andere Wahl, oder?«
»Haben Sie denn überprüft, ob Dr. Dobelli sich
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