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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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auf? Mithilfe des Internets konnte der Mensch relativ guten Zugang zu den meisten Sprachen, Kulturen und Ländern in der ganzen Welt bekommen. Niemand konnte sich mehr herausreden. Niemand konnte seine Furcht vor dem Fremden darauf schieben, dass der Fremde unzugänglich war. Nie zuvor war der einzelne Mensch mit so vielen verschiedenen Völkern und Nationalitäten in Kontakt, nie zuvor war die Welt so offen und zugänglich.

    Und dann gab es Menschen, die sich in Nostalgie vergruben.

    Gunnar Nyberg fand eine solche Haltung vollkommen unverständlich. Obwohl er im Grunde ein Mensch war, der eigentlich klar festgelegt hätte sein sollen. Er müsste ein griesgrämiger alter Bulle sein, verbittert, erschlafft, unfähig, sich Neues anzueignen, unwillig, irgendetwas Neues zu lernen, das nach den Siebzigerjahren gekommen war. Und es hatte sogar ihn selbst erstaunt, wie wenig dies bei ihm zutraf. Er hatte nicht die geringste Neigung zur Nostalgie - es gab eigentlich nichts, was früher besser war -, und er fühlte sich nicht einmal besonders schwedisch - obwohl ein Onkel festgestellt hatte, dass er im vierzehnten Glied schwedisch war. Gunnar Nyberg war also ein richtiger verfluchter Urschwede - alles sprach dafür, dass er in direkt aufsteigender Linie von den Wikingern abstammte.

    Und dennoch liebte er die Erde, die Welt und ihre Menschen, all diese eigentümlichen Völker mit ihren seltsamen Bräuchen, die sich überall auf dem Erdball etabliert hatten, jedes nach seinen spezifischen Voraussetzungen.

    Vor allem jedoch liebte er die Sprachen. Wie schrecklich schwer das Russische auch war, wie verdammt unmöglich, die grotesken Diphthonge hinzukriegen und sich im bizarren kyrillischen Alphabet zurechtzufinden, er liebte die menschlichen Sprachen und ihre Vielfalt. Und Arabisch war das größte aller Mysterien. Er wünschte sich wirklich nichts sehnlicher, als an diesen Wänden Arabisch und Persisch unterscheiden zu können, dies alles lesen zu können.

    Doch auch er hatte seine Grenzen.

    Und dann kam ihm plötzlich in den Sinn, dass er gerade eine Leiche gesehen hatte, ohne dass es ihn im Geringsten berührt hatte. Statt über das Schicksal des armen Schweins Siamak Dulabi nachzusinnen, wie er gelitten haben musste, was ihm alles verloren gegangen war, hatte er angefangen, über Sprachen nachzudenken. War das wirklich gesund?

    Er kehrte in die Wirklichkeit zurück, genauer gesagt zu dem einzigen Menschen, der sich hier außer ihnen im Versammlungslokal am Värbergsväg aufhielt. Der stand hinter einer Theke, auf der unter einer Glasglocke ein paar schlappe Gebäckstücke ruhten, und sah groß und grob aus. Wahrscheinlich war er einer der Männer, die Sara und Lena am Tag zuvor angetroffen hatten, einer der ziemlich robusten Iraner, die sie vor die Tür gesetzt hatten.

    »Wie früh Sie geöffnet haben«, sagte Nyberg und zeigte auf die Glasglocke. »Ich möchte gern einen Kuchen.«

    Der große Mann machte eine skeptische Miene, und Gunnar Nyberg dachte, dass er alt zu werden begann. Er jagte Menschen keinen Schrecken mehr ein. Aber vielleicht war das auf lange Sicht ein gutes Zeichen.

    Leider ging es hier um die kurze Sicht.

    »Wir haben geschlossen«, sagte der große Mann in gutem, aber nicht akzentfreiem Schwedisch. »Ich muss Sie bitten, wieder zu gehen.«

    »Tun Sie, was Sie tun müssen«, sagte Nyberg, »dann tue ich das auch. Ich muss Ihnen nämlich diese Gesichter hier zeigen.«

    Er zog einen Führerschein aus der Tasche (was Kerstin Holm den Atem verschlug) und hielt ihn dem großen Mann hin. Dann holte er ein größeres Foto heraus und sagte:

    »Ich gehe davon aus, dass Sie das Foto bereits gesehen hatten, als Sie gestern zwei Polizistinnen vor die Tür setzten. Es zeigt einen Mann namens Mehran Bakhtavar. Und auf dem Führerschein sehen Sie, wie Sie lesen können, einen Siamak Dulabi. Diese beiden Männer sind tot.«

    Nyberg beobachtete das Gesicht des großen Mannes. Lag es nur am Schlafmangel und an der frühen Morgenstunde, dass er meinte, dort eine neue Falte zu entdecken? Er war nicht sicher.

    Aber er musste es wissen.

    »Beide sind kürzlich ermordet worden«, sagte Nyberg und setzte auf gut Glück hinzu: »Und wir wissen, dass beide hier in diesem Lokal verkehrten.«

    Der große Mann sah ihn nur gelassen an. Er hatte seinen steinernen Blick wiedergefunden.

    »Was für ein Lokal ist das eigentlich?«, fragte Nyberg. »Ein Cafe?«

    Die Augen des Mannes wurden eine Spur schmaler. Er

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