Opferzahl: Kriminalroman
war ein niedriger grüner Strich, leichte Befriedigung, aber kaum Glück. Außerdem wurde er von einem seltsamen Stab verdeckt, der viel größer war als die anderen, viel näher, der sich unablässig zwischen rot und grün auf und ab bewegte.
Das war der Ehestrich.
Sara Svenhagens fünfjährige Ehe mit Jorge Chavez war in vielfacher Hinsicht ein Wunder. Sie waren einander in einer stressigen Zeit begegnet und hatten es geschafft, perfekt zueinander zu passen. Jorge war zwar schwer zu überreden gewesen, als es darum ging, ein Kind zu bekommen, doch als die kleine Isabel schließlich da war, erwies er sich als göttlicher Papa. Aber in dem Maße, in dem ihre Liebe zu der schönen kleinen Tochter an Stärke zunahm, nahm ihr Gefühl füreinander ab. Vor einem Jahr hatten sie eine wirkliche Krise erlebt - sie redeten aneinander vorbei, waren in den Gedanken des anderen kaum gegenwärtig, waren unfähig, einander zu berühren -, doch nach den dramatischen Ereignissen des vergangenen Sommers kamen sie sich wieder näher. Aber jetzt war es wieder so weit. Das eheliche Leben war nicht optimal.
In diesem fixierten Augenblick leuchtete der rote Schein dieses Strichs stärker als alle anderen.
Es war so leicht, auf Irrwege zu geraten, in einem unheilvollen Muster hängenzubleiben und nur darin umherzuirren. Sie versuchte, aus sich selbst herauszutreten und die Situation neutral zu überblicken, doch natürlich ging das nicht. Dieser Überblick zeigte nur, dass sie selbst keine Schuld trug. Er und ausschließlich er war derjenige, der sich abwandte.
Genug mit den Dummheiten, heute Abend würde sie ihn überraschen. Sie liebte ihn, und sie wusste, dass er sie liebte. Alles andere waren Dummheiten. Jeder Augenblick trug die Chance eines Neuanfangs in sich.
In diesem Moment, machte es »pling« in Sara Svenhagens Computer - hatte wirklich der alte, nicht digitale Uhu Jan-Olov Hultin diese elegante Vernetzung einer komplexen Ermittlung eingeführt? -, und auf dem Bildschirm erschien eine Mitteilung. Die Säpo meldete ein Teilergebnis ihrer Ermittlung. Es lautete, in lakonischem Säpo-Stil:
»The Holy Riders of Siffin sind international nicht bekannt. Nachfrage bei internationalen Sicherheitsdiensten ergebnislos.«
Sie nickte. Sie hatte es fast geahnt. Angesichts der Undurchsichtigkeit der Schlacht bei Siffin bedeutete das eine von drei Möglichkeiten.
Entweder das Ganze war ein Bluff, der schlecht durchdachte Anruf eines Witzbolds.
Sie fühlte, dass es das nicht war.
Oder es handelte sich um eine Gruppe auf lokaler Ebene in den südlichen Vororten. Das kam ihr plausibler vor.
Oder die Tatsache, dass niemand die Gruppierung kannte, rührte daher, dass diese geschickt und gut organisiert war und kein Leck hatte.
Auch das kam ihr plausibler vor.
Sie wog die beiden Alternativen gegeneinander ab.
Im Moment hielten sie sich die Waage.
*
Jon Anderson war glücklich. Es war sicher das allererste Mal in seinem Leben, dass er diese Feststellung für sich zu machen wagte. Er war ein vorsichtiger Mensch.
Es war Freitag, und er hatte die ganze Woche lang mit gewisser Deutlichkeit die linke Hand benutzt, um nach Papieren auf der anderen Seite des Schreibtisches zu langen. Auf Jorges Seite. Die Hand war meist direkt vor der Nase des immer bockigeren Partners tätig geworden, der sie aber nicht bemerkt hatte. Oder nur irritiert abgewartet hatte, bis sie wieder verschwand.
Aber jetzt sah er sie. Nach vier Tagen.
Jorge Chavez zog die Brauen hoch, als die linke Hand vor seinen Augen nach einem technischen Handbuch griff, und diesmal war es automatisch passiert. Jon Anderson war in der stillen Hoffnung, dass sein Gespanngefährte sein Glück bemerken würde, schlicht zum Linkshänder geworden.
Und jetzt war es so weit. Wenn auch nicht ganz mit dem überströmenden Latino-Jubel, den Jon Anderson sich gewünscht hätte.
»Neuer Ring?«, fragte Jorge Chavez und tippte weiter.
Wie sollte man darauf antworten? Wo in diesem Ring das ganze eigene Glück lag? Vielleicht so:
»Ich habe mich verlobt.«
Chavez tippte eine Weile weiter. Dann blickte er auf, und Verwirrung war kaum das richtige Wort. Eher eine so große Zerstreutheit, dass auch der lauteste Knall ihn nicht in ein normales Leben hätte zurückrufen können.
»Was?«, sagte er.
»Ich habe mich mit Marcus verlobt«, antwortete Jon Anderson. »In Paris, am Samstag.«
»Wer zum Teufel ist Marcus?«, fragte Chavez immer noch völlig in
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