Opferzahl: Kriminalroman
auftaucht - also dass ääö nicht berücksichtigt werden. Älvsjö wird zu Alvsjo und landet ganz vorn im Alphabet. Doch das geschieht nicht. Die direkte Nummer zur Polizei in Älvsjö steht ganz unten auf der Liste. Er muss einen ganz speziellen Zugang zu dieser Nummer gehabt haben. Wieso und weshalb, das müssen wir noch herausfinden.«
»Wir sollten mit den Kollegen in Älvsjö sprechen«, fasste Sara zusammen. »Vielleicht hat er persönlich Kontakt mit ihnen gehabt.«
»Dann das mit dem Englisch«, sagte Lena. »Handelt es sich wirklich um einen Amerikaner mit schwedischen und arabischen Wurzeln? Und warum zum Teufel?«
»Unserem verehrten Kurt Ehnberg zufolge, muss er wohl nicht unbedingt Amerikaner sein. Eher jemand, der eine Menge amerikanischer Filme und Musik konsumiert hat.«
»Und der zur richtigen Lehre bekehrt worden ist? Was ist er dann? Schwede?«
»Vermutlich«, sagte Sara und vollführte in etwa die gleiche Geste wie Lena kurz zuvor. »Weist das nicht doch in Richtung südlicher Vorort? Die Polizei in Älvsjö, vielleicht HipHop-Kultur, Vorstadtaußenseitertum?«
»Ist er dann überhaupt Terrorist? Oder nur ein allgemein Unangepasster?«
»Vielleicht sowohl als auch. Vielleicht ein Vororttyp mit Unbehagen an der Kultur, der von einem Terrornetzwerk aufgesammelt worden ist. Das ist doch die Rekrutierungsbasis für den Fundamentalismus - die nicht angepassten, nicht assimilierten Jugendlichen, die sogenannte zweite und dritte Einwanderergeneration, bei deren Eingliederung in die Gesellschaft wir so kapital versagt haben.«
»Eine groteske Bezeichnung«, sagte Lena Lindberg. »Du bist in Schweden geboren und aufgewachsen und wirst trotzdem Einwanderer genannt.«
Sara Svenhagen sagte:
»Das Entscheidende, wenn es um die Glaubwürdigkeit geht, ist dennoch dieses Siffin.«
»Und seine eigentümlichen Schlussworte«, nickte Lena.
»>Lower your eyes. It makes the mind more focused, and gives more peace to the heart.< Das ist doch bestimmt ein Zitat?«
»Aber ein ziemlich seltsames Zitat«, sagte Sara. »Senke den Blick. Wieso senke den Blick? Dreht es sich beim gesamten Fundamentalismus nicht eher darum, den Blick zu heben? Stolz und hart und stark zu sein, mit festem, erhobenem Blick?«
»Anderseits scheint es sich um eine Art von Vorbereitung zu handeln. Das schärft das Bewusstsein und schenkt dem Herzen mehr Frieden. Ich weiß nicht, ob man das mit Siffin in Verbindung bringen soll.«
»Erzähl jetzt alles über Siffin«, sagte Lena. »Du hast dich ja mit Wesentlichem befasst, während ich Phonologen und anderem tristen Kram nachgejagt bin.«
Sara Svenhagen lachte auf und sagte:
»Siffin ist eine Stadt in Syrien. Dort fand eine der entscheidenden Schlachten in der frühen Geschichte des Islam statt. Es gibt eine Reihe von Schlachten, in der Anfangsphase der Religion: die Schlachten bei Badr, bei Uhud, bei Khandaq, bei Hunayn, bei Jamal, bei Nahrawan und bei Karbala. Und eben auch bei Siffin. Die Schlacht findet im Juli des Jahres 657 statt - im Jahr 36 nach muslimischer Zeitrechnung, die im Jahr 622 ihren Anfang nimmt, als der Kaufmann Mohammed sich auf seine berühmte Hedschra nach Medina begab und sein Wirken als der Prophet Allahs begann.«
»Hedschra?«, fragte Lena.
»Er hat seinen Heimatort verlassen. Mohammed verließ Mekka, wo seine Botschaft keinen Anklang fand, und zog nach Yathrib, das später den Namen Medina bekam, was ganz simpel >Stadt< bedeutet. Erst mit seiner Ankunft dort wurde aus dem Islam eigentlich eine Religion.«
»Und was hat das mit Siffin zu tun?«
»Das ist in der Anfangszeit ziemlich unklar. Wenn eine Religion Fuß fassen soll, ist dies regelmäßig mit Gewalt verknüpft. Zuerst gegen die Ungläubigen, danach kämpfen die Gläubigen oft untereinander. In der Schlacht bei Siffin, fünfunddreißig Jahre später, standen sich Mohammeds Cousin Kalif Ali und Muawija von der umayyadischen Familie gegenüber. Sie bildet die Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten ab.«
»Wie kompliziert«, stöhnte Lena Lindberg. »Sind es nicht Sunniten im Irak und Schiiten im Iran?«
»So sah man es früher, als wir automatisch die Perspektive Saddam Husseins übernahmen. Aber die Sunniten - die den großen Zweig des Islam stellen, in der gesamten arabischen Welt bis nach Marokko und auch im größten muslimischen Gebiet, Indonesien -, waren faktisch auch im Irak die ganze Zeit in der Minderzahl. Jetzt, während und in der Folge des Irakkrieges,
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