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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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kämpfen nun die Sunniten und Schiiten miteinander. Das ist die Hauptursache für das Chaos im Irak. Einmal davon abgesehen, dass das Land von den USA besetzt ist ...«

    »Was ist denn der Unterschied?«

    »Die Sunniten meinten, der Führer, der Kalif, solle aufgrund persönlicher Fähigkeiten und des Respekts vor der Sünna, also im Großen und Ganzen Mohammeds eigenen Taten, ausgewählt werden. Die Schiiten meinten, er solle Mohammeds Geschlecht angehören. Es erinnert ein wenig an die Frage Republik oder Monarchie im säkularisierten Abendland. Den Thron erben oder gewählt werden.«

    »Aber noch einmal, was hat das mit Siffin zu tun?«

    »Der vierte Kalif war Ali, Mohammeds Cousin und Schwiegersohn, als nächster Verwandter war er der legitime Führer der muslimischen Gemeinschaft. Aber er wurde von der reichen arabischen Kaufmannsfamilie der Umayyiden in Damaskus herausgefordert, deren Oberhaupt zu diesem Zeitpunkt Muawiya hieß. Sie treffen in Siffin aufeinander, neunzigtausend Mann auf Alis Seite, hundertzwanzigtausend Mann auf Muawiyas. Die Kämpfe wüten in der Sommerhitze. Niemand hat so große militärische Fähigkeiten wie Ali, es ranken sich Mythen um ihn. Niemand wagt es, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, er ist gezwungen, sich zu verkleiden, um Gegner zu haben. Einmal geschieht es - Ali schwingt sein legendäres Schwert Zulfiqar gegen einen Widersacher, und alle glauben, er habe ihn verfehlt. Bis der Mann in zwei Hälften vom Pferd fällt.«

    »Autsch«, sagte Lena Lindberg. Sara Svenhagen fuhr fort:

    »Trotz seiner numerischen Überlegenheit steht Muawiya im Begriff zu verlieren. Da erhält er von einem Weisen den Rat, die Heilige Schrift entscheiden zu lassen, und nicht weniger als fünfhundert seiner Männer befestigen den Koran an ihren Speerspitzen. Das lässt Alis Männer zögern. Viele legen die Waffen nieder. Ali begibt sich aufs Schlachtfeld und versucht, seine Männer dazu zu bewegen, nicht auf Muawiyas Trick hereinzufallen. Doch es funktioniert nicht. Die Schlacht endet in Verhandlungen, die zu nichts führen. Außer zu einer dauerhaften Spaltung. Muawiya verlor nicht weniger als fünfundvierzigtausend Mann, auf Alis Seite fielen fünfundzwanzigtausend.«

    »Aber jetzt verstehe ich immer weniger die >heiligen Reiter von Siffin<. Was ist denn das Heroische an dem Ganzen?«

    »Ich verstehe es auch nicht«, gab Sara zu. »Aber damit müssen wir uns wohl beschäftigen.«

    »Mach du das«, sagte Lena. »Das ist ein Job für eine einzige Frau. Ich fahre stattdessen nach Älvsjö und rede mit dem Kollegen.«

    »Okay«, sagte Sara. »Das klingt vernünftig. Ich will sehen, ob ich wenigstens einen guten Islamexperten auftreiben kann. Ich finde das wahnsinnig spannend.«

    Lena verschwand, und Sara war allein. Einen kurzen Augenblick lehnte sie sich zurück und bedachte die Lage.

    Die ganze Lage.

    Das ganze verflixte Leben in exakt diesem Augenblick.

    War Sara Svenhagen eine glückliche Frau?

    Jeder Moment ist eigentlich akkumulierte Zeit. Alles Gute und Schlechte im Leben sammelt sich in einem einzigen Punkt. Manchmal hat das Gute die Nase vorn und ist ein wenig stärker, manchmal das Schlechte. Neues stößt dazu, anderes sackt ab. Aber alles ist gesammelt, alles bildet Parameter in der Antwort auf die alltägliche, aber lebenswichtige Frage »Wie ist die Lage?«, die wir gern mit einem zu nichts verpflichtenden »gut« vom Tisch wischen. Augenblicke sind nicht unsere starke Seite. Also, wie war die Lage?

    Im Wesentlichen »gut«. Sara sah einen ganzen Wald von Strichen vor sich, ungefähr wie bei einer Stereoanlage, einem Equalizer, sie bewegten sich nach oben und nach unten um eine Nulllinie, nach oben grün, nach unten rot. Rot bedeutete schlecht, grün gut. In der Sekunde, in der man sie fixierte, formten sie eine vollständige Lagebeschreibung. Manche Striche befanden sich so weit weg, dass sie kaum zu sehen waren, während andere aufdringlich nah waren, ein vielfältiges rotgrünes Blitzlicht in drei Dimensionen. Unglücklichsein bis zum Rand des Selbstmords mit fünfzehn - auch diesen Strich gab es - er war zwar extrem rot, aber auch sehr weit entfernt. Dafür war die Befriedigung darüber, wieder mit dem Schwimmen angefangen zu haben - was die blonde Bürste ihrer Haare wieder grün zu färben begonnen hatte - äußerst nah. Der Strich war lange nicht so hoch wie der zwanzig Jahre alte rote tief war, doch dafür befand er sich in sehr viel größerer Nähe. Es

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