Opferzeit: Thriller (German Edition)
an Kent. »Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben, aber denken Sie eine Weile darüber nach. Gegen Ende des Tages werden sie immer mehr darüber nachdenken, und morgen um diese Zeit werden sie daran arbeiten, es auf die eine oder andere Art zu beweisen. Bitte, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie auf etwas gestoßen sind.«
Jack muss jemandem ausweichen, der vor ihm auf die Straße läuft, und die Kotze auf dem Boden bewegt sich in eine neue Richtung, ebenso wie mein Magen. Dann biegen wir links ab und erreichen die Rückseite des Gerichtsgebäudes. In dieser Straße habe ich mal ein Auto geklaut. Einmal habe ich hier auch einem Obdachlosen in die Eier getreten und ihm gedroht, ihn mitten auf der Straße anzustecken – was natürlich nur ein Scherz war. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er den Scherz verstanden hat, denn so sind die Leute nun mal – sie haben keinen Sinn für Ironie.
»Genießt du das?«, fragt Kent.
»Ich versuche es zumindest.«
Es stehen nicht viele Menschen hinter dem Gerichtsgebäude – ein paar Dutzend höchstens. Jack hält vor einem Rolltor und wartet ein paar Sekunden, bis es sich öffnet. Auf der anderen Straßenseite steht ein Bürogebäude, jede Menge Autos sind dort abgestellt, und Menschen gehen zur Arbeit oder kommen von dort. Die Kreuzung ist mit Verkehrshütchen abgesperrt. Jetzt kann ich ein paar der Plakate erkennen. Sie ergeben keinen Sinn. Auge um Auge. Slow Joe muss gehen. Tötet das Schwein.
Was zum Teufel geht hier vor sich? Kent bemerkt meine Verwirrung, mein Lächeln verschwindet, dafür lächelt jetzt sie. »Hast du ernsthaft geglaubt, diese Menschen sind hier, um dich zu unterstützen? O je, Joe«, sagt sie, »du bist echt dümmer, als wir alle gedacht haben.«
Das Tor öffnet sich, und wir fahren hindurch. Hinter uns wird es wieder geschlossen. Mein Magen krampft sich plötzlich zusammen, und ich beuge mich ein wenig vor. Jack bringt den Transporter zum Stehen. Ich bin noch immer verwirrt wegen der Plakate. Auge um Auge, wer ist damit ge meint? Und wer soll getötet werden? Slow Joe muss gehen – na klar, das macht Sinn –, das bedeutet, dass Joe aus dem Gefängnis freikommen soll. Hier unten parken noch andere Autos, ein Rettungswagen, ein Bus der Wachmannschaft. Offenbar bin ich nicht der Einzige, dem jetzt übel ist, bei diesem durchdringenden Gestank nach Kotze dreht sich auch allen anderen im Wagen der Magen um. Jack und Kent klettern aus dem Transporter, gehen nach hinten und öffnen die Tür. Ich starre hinüber zu dem Rettungswagen, und am liebsten würde ich jetzt dort einsteigen, damit sich jemand um mich kümmert. Ein stechender Schmerz durchzuckt meine Innereien auf beiden Seiten, am heftigsten dort, wo Cole mich erwischt hat. Erneut würge ich, aber diesmal kommt nicht viel mehr hoch als ein paar Bröckchen.
Es dauert zwar eine Minute, aber irgendwie gelingt es mir, aus dem Wagen zu klettern und auf meinen eigenen Beinen zu stehen.
Kapitel 57
Melissas Muskeln spannen sich, als sie Joe entdeckt. Ihr Herz schlägt rascher. Das letzte Mal hat sie ihn an jenem Sonntagmorgen gesehen, als er aus ihrem Apartment spaziert ist. Sie hatten Freitagnacht, den ganzen Samstag und die folgende Nacht miteinander im Bett verbracht. Sie hatten sich Pizza kommen lassen und romantische Komödien im Fernsehen angeschaut, wobei Melissa romantische Komödien hasste, während Joe sie witzig fand. Er mochte diese Art von Filmen. Er hatte gelacht. Sie hatte gelacht. Joe war ein romantischer Mensch. Am Nachmittag hätte er wiederkommen sollen. Er wollte nur kurz nach Hause, um seine Katze zu versorgen, er hatte sogar seinen Aktenkoffer bei ihr gelassen. Es befanden sich ein paar Messer darin. Er verließ sie und kam nicht wieder zurück, und sie ärgerte sich über ihn. Sie fühlte sich benutzt. Wütend. Wütend genug, um ihn zu suchen und ihm vielleicht ein Messer in den Leib zu rammen. Aber sie tat es nicht. Wenn Joe sie nicht wollte, dann drauf geschissen. Selber schuld daran. Nur hatte es sich ganz anders abgespielt. Am selben Abend sah sie Joe im Fernsehen wieder. Er war verhaftet worden.
Inzwischen steht er wieder auf seinen eigenen Beinen. Er sieht nicht wirklich gut aus. Er wirkt verdammt blass. Was haben ihm diese Gefängnisleute nur angetan? Jede Sekunde wird sich entscheiden, ob ihr Plan aufgeht oder nicht. Alles hängt jetzt davon ab, wie gut Raphael unter Stress schießen kann.
Joe bricht zusammen.
Er krümmt sich am Boden. Obwohl noch kein Schuss
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