Opferzeit: Thriller (German Edition)
gefallen ist, oder etwa doch?
Die Leute, die mit Joe im Van waren, stehen um ihn herum, helfen ihm wieder auf die Beine und zeigen keinerlei Anzeichen von Panik, also ist wohl doch kein Schuss gefallen. Sie führen Joe zum Gerichtsgebäude, wobei sie ihn halb tragen, halb schleifen, und sie weiß, dass Raphael jetzt aus seiner Position keine Chance hat, ihn präzise anzuvisieren.
Joe wird fortgeschafft ins Gerichtsgebäude. Keine Schreie und kein Blut.
»Warum sind wir hier?«, fragt die Rettungssanitäterin. »Ich meine, warum wolltest du mitkommen?«
»Halt die Klappe«, sagt Melissa. »Ich versuche nachzudenken.«
»Kennst du ihn? Den Schlächter? Hör zu, ich kann gut nachvollziehen, wenn du hier bist, um ihn zu töten, ehrlich, und Jimmy würde das sicher auch verstehen. Aber bitte tu mei nen Kindern nichts. Ich mach auch alles, was du verlangst.«
Melissa starrt sie an. Sie hat noch nie zuvor eine Frau getötet, aber jetzt denkt sie, es könnte die Erfahrung durchaus wert sein. Es würde helfen, ihren Charakter zu formen. »Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten.«
»Bitte, bitte, du musst uns gehen lassen.«
Melissa fährt herum und richtet die Pistole auf sie. »Hör zu, wenn du nicht augenblicklich das Maul hältst, werde ich dir ein Loch verpassen. Verstanden?«
Die Frau nickt.
Melissa zieht ihr Handy heraus. Ruft Raphael an. Er antwortet nach dem ersten Klingeln.
»Es gab keine saubere Schusslinie«, sagt er und klingt panisch. »Keine Gelegenheit.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Hör mir genau zu. Du musst ruhig bleiben. Wir haben immer noch Zeit genug. Genau genommen haben wir den ganzen Tag. Sie werden Joe wieder rausbringen. Ich weiß nicht genau wann, aber es wird irgendwann zur Mittagszeit sein. Ganz bestimmt. Bleib einfach ruhig und halte die Stellung.«
»Du willst, dass ich so lange hier warte?«, fragt er ungläubig. »Hier oben und in meiner Polizeiuniform?«
»Ja«, sagt sie.
»Was? Hier oben im Büro?«
»Wo solltest du denn sonst warten?«
»Was ist, wenn jemand hier reinkommt?«, fragt er.
»Niemand wird reinkommen. Du musst einfach nur ruhig bleiben. Es wird funktionieren, ich verspreche es.«
»Du versprichst es? Wie zum Teufel …«
Sie unterbricht ihn. »Ich bleibe die ganze Zeit hier unten«, sagt sie. »Mach dich nicht verrückt. Bleib einfach ruhig und tu, was getan werden muss.«
Sie hört ein Seufzen. Sie kann sich vorstellen, wie er da oben sitzt in seiner Polizeiuniform, sich die Haare rauft, sich vielleicht mit seinen Händen das Gesicht bedeckt.
»Raphael«, sagt sie.
»Plötzlich kommt mir das Ganze wie eine ziemlich schlech te Idee vor«, sagt er.
»Es ist keine schlechte Idee. Das war nur ein winziges bisschen Pech. Oder schlechtes Timing, mehr nicht. Irgendetwas fehlt ihm. Er ist krank. Wie es aussieht, werden sie ihn bald wieder rausbringen. So wie es aussieht, kriegst du in fünf Minuten eine weitere Chance.«
Er antwortet nicht. Sie kann ihn durchs Telefon atmen hören. Sie kann hören, wie er überlegt, ob es sich wirklich so abspielen wird. Trish starrt sie an. In den letzten Minuten ist die Menschenmenge vor dem Hintereingang des Gerichts beträchtlich angeschwollen, denn offenbar haben die Leute mitbekommen, dass Joe auf diesem Weg gekommen ist. Die Plakate lassen keine Zweifel – Stirb du Schwein ist ein guter Hinweis darauf, wie die Menge fühlt. Und was zum Teufel hat es mit diesen blöden Kostümen auf sich, die einige von ihnen tragen?
»Bist du noch dran?«, fragt sie.
»Ich bin noch dran«, sagt er.
»Wir können das durchziehen. Wenn nicht jetzt, dann am Ende des Tages, wenn Joe wieder durch den Hinterausgang rauskommt. Dann wird es genauso gut funktionieren. Vielleicht sogar noch besser«, sagt sie, obwohl sie nicht wirklich daran glaubt. Besser wäre es gewesen, Raphael hätte bereits einen gezielten Schuss abgegeben.
»Okay«, sagt er. »Ich warte und erledige ihn, wenn er wieder rauskommt. Versprochen.« Dann legt er auf, und Melissa starrt auf die Hintertür des Gerichtsgebäudes und überlegt, wie lange wohl zu lange ist für jemanden wie Raphael, und sie hofft, dass er lange genug die Nerven behält und bleibt, wo er ist.
Kapitel 58
Sie schleifen mich zu den Verwahrungszellen, bis jemand entscheidet, man solle mich besser zur Toilette schleifen, und darauf dirigieren sie mich in eine andere Richtung. Wenn ich meine Beine gebrauchen will, finde ich keinen Halt auf dem Boden. Meine vorhin zusammengestauchten Innereien
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