Ophran 3 Die entflohene Braut
um ihn sorgten, weil sie im Falle seines Ablebens ihre Stellung verlieren würden. Seine Frau war vor acht Jahren gestorben, dem Himmel sei Dank! Er hatte sie auf Drängen seiner Mutter hin geheiratet, und als Tochter eines Marquess hatte sie eine recht ansehnliche Mitgift in die Ehe gebracht. Heirate sie, damit sie deinen Haushalt führt und dir Kinder gebären kann, hatte seine Mutter verlangt. Du kannst dich immer noch mit Mätressen vergnügen, solange sie sauber und leidlich diskret sind.
Sie war eine gnadenlos pragmatische Frau gewesen, seine Mutter, die keinerlei romantische Illusionen gehegt hatte. Er nahm an, dass sein Vater ihr alle Jungmädchenträume ausgetrieben hatte, die sie als junge Braut gehabt haben mochte. So wie er seiner Frau die ihren ausgetrieben hatte.
Schuldgefühle stiegen in ihm auf. Zuerst habe ich tatsächlich nicht verstanden, was sie von mir erwartet hat, dachte Edward. Er hatte geglaubt, sie wäre diese Ehe aus den gleichen Gründen eingegangen wie er, auf der Suche nach einer vernünftigen, zweckdienlichen Verbindung, die ihre gesellschaftliche Stellung verbessern und hinreichend gescheite Kinder hervorbringen würde, von denen eines unbedingt männlich sein müsste. Er war der aufrichtigen Überzeugung gewesen, sie habe dabei das bessere Geschäft gemacht angesichts des Gräfinnentitels, der gesellschaftlichen Annehmlichkeiten, der Dienstboten und Juwelen, die sie durch ihre Heirat erwarb... auch wenn ihre Mitgift half, all dies zu bezahlen.
Er war an jenem Abend ehrlich überrascht gewesen, als sie so jämmerlich geweint hatte, weil ihr aufgegangen war, dass er seit ihrer Hochzeit regelmäßig mit anderen Frauen verkehrt hatte. Er hatte nicht verstanden, was sie wollte. Hatte sie wirklich erwartet, er würde allen Vergnügungen in seinem Leben abschwören, nur weil er jetzt verheiratet war? Sie führe sich wie eine alberne kleine Närrin auf, hatte er ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben. Sie liebten einander nicht und waren auch nie so verlogen gewesen, das Gegenteil zu behaupten, hatte er ihr barsch in Erinnerung gerufen. Und sie hatte ihm - in Tränen aufgelöst, was er erbärmlich und ärgerlich fand - gestanden, dass sie gehofft habe, sie würden mit der Zeit lernen, Liebe füreinander zu empfinden. Dass sie seit dem Jahr ihrer Hochzeit versucht habe, ihn zu lieben, und dass sie trotz seines Bemühens, Abstand zu wahren, bisweilen das Gefühl hatte, es zu tun. Sie war damals im achten Monat schwanger, und er hatte sich für einen rücksichtsvollen Ehemann gehalten, weil er seine fleischlichen Gelüste anderweitig befriedigte. Die Vorstellung, sie zu lieben, war schlichtweg lächerlich. Er hatte nicht das Bedürfnis, sie zu lieben, und noch viel weniger verlangte es ihn nach der Bürde ihrer Liebe, und das hatte er ihr auch gesagt.
Sie hatte so hemmungslos geweint, dass ihre Wehen begannen. Die Schreie, die in jener Nacht durch sein Haus hallten, waren mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor gehört hatte.
Am späten Abend des folgenden Tages brachte sie endlich ihr erstes Kind zur Welt. Ein Mädchen. Als es schließlich vorüber war, hatte der Arzt ihm mitgeteilt, dass sie um ein Haar gestorben wäre und keine weiteren Kinder mehr bekommen könne. Von Schreck und Reue überwältigt, war Edward in ihr Schlafzimmer geeilt, wo seine junge Braut bleich und gebrochen ruhte, zu schwach, um das winzige Kind zu halten, das sie unter so großen Schmerzen geboren hatte. Er hatte sich neben sie gesetzt, leer und beschämt, und um ein paar passende Worte gerungen. Da er beim besten Willen nicht wusste, was er sagen sollte, hatte er schließlich die Hand ausgestreckt, um ihre Wange zu streicheln.
Und sie hatte die Augen geschlossen und war vor ihm zurückgewichen.
Reue durchflutete ihn, so heftig und schmerzvoll wie in jener entsetzlichen Nacht. Zu erschöpft, um die Lampe an seinem Bett auszublasen, ließ Edward sich in die Kissen sinken und schloss die Lider. Er war beinahe so schwach wie seine arme Katherine in jener Nacht, als sie eine unüberwindliche Mauer zwischen sich und ihm errichtet hatte, um sich zu retten. Er schluckte und fühlte, wie heiße Tränen in seine Augen stiegen.
Es gab so vieles in seinem Leben, was er bereute, dass er kaum wusste, womit er beginnen sollte.
Percy Baring, fünfter Viscount Philmore, steckte die behandschuhten Finger in die Tasche seiner elegant geschneiderten Weste und zog eine kunstvoll gearbeitete goldene Uhr daraus hervor.
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