Ophran 3 Die entflohene Braut
Bekanntschaft mit der rauen Wirklichkeit seiner finanziellen Lage und seiner amourösen Eskapaden machen.
5. KAPITEL
„Wir haben ihn verloren. “
Der alte Mann verzog unwirsch das Gesicht. „Was soll das heißen, Sie haben ihn verloren? “
Neil Dempsey schluckte nervös und blickte angestrengt auf seine Notizen. Was würde ihn dieser neuerliche Patzer wohl kosten? Es war nicht leicht, die Stimmungen seines launischen Auftraggebers vorauszuahnen, der sich unsäglich über die harmlosesten Einzelheiten aufregen konnte und im nächsten Augenblick von einer ebenso belanglosen Beobachtung zu Tränen gerührt war. Dempsey verfluchte seinen Mitarbeiter dafür, dass er Kent aus den Augen verloren hatte, und zog das kurze Telegramm zurate, das er am Morgen erhalten hatte.
„Man hat ihn gestern zuletzt gesehen, als er Lord Whitcliffes Hochzeit in seiner gemieteten Kutsche verließ, die von seinem alten Diener Oliver gefahren wurde. Mr. Potter, mein Kompagnon, hatte den Eindruck, Mr. Kent wolle mit dem Zug zurück nach Inverness reisen. Leider ist er offenbar nie am Bahnhof angekommen. Es gibt keinen Beleg dafür, dass er eine Fahrkarte gekauft hat, und niemand hat ihn oder seinen Diener in den Zug steigen sehen. Mein Mitarbeiter hat den Bahnhof gestern Nacht noch bis zur Abfahrt des letzten Zuges beobachtet und sich dann zu Whitcliffes Anwesen begeben, wo einige der Gäste logierten, doch Mr. Kent war auch dort nirgends zu finden. “ Er schloss sein Notizbuch. „Ich fürchte, das ist alles, was ich Ihnen berichten kann, Eure Lordschaft. “
Der Earl setzte sich jählings auf, was einen heftigen Hustenanfall zur Folge hatte.
„Hinaus mit Ihnen! “ fuhr er die rundliche Frau an, die soeben zur Tür hereinkam. „Hinaus, habe ich gesagt! “
„Sparen Sie sich Ihre Worte für die, die gewillt sind, Ihnen zuzuhören“, gab die Frau zurück und ging zielstrebig weiter. Sie goss etwas Wasser aus einem Krug in ein Glas, fügte ein paar Tropfen Opiumpräparat aus einem braunen Fläschchen hinzu, schob ihren kräftigen Arm hinter den Rücken des Grafen und hielt ihm das Glas an die dünnen Lippen. „Trinken Sie das! “
Der einst eindrucksvolle Earl of Hutton würgte widerwillig ein paar Schlucke des übel schmeckenden Gebräus herunter. „Genug! “ bellte Edward, als sein Husten sich gelegt hatte. „Ich trinke keinen Schluck mehr... Sie wollen mich wohl vergiften! “
„Wenn ich das tatsächlich vorhätte, würde ich Ihnen etwas geben, das Sie schon nach einem einzigen kleinen Schluck umbringt“, versicherte seine Krankenschwester ihm barsch. „Dann müsste ich mir nicht Ihr Gewürge und Gefluche anhören. “ Sie ließ ihn auf das Kissen zurücksinken und zog mit geübten Handgriffen die Decken über seinem zerbrechlichen Körper zurecht, bevor sie sich umwandte und Neil einen strengen Blick zuwarf. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie ihn nicht aufregen sollen. “
„Und ich habe Ihnen gesagt, dass Sie sich gefälligst um Ihre eigenen verfluchten Angelegenheiten kümmern sollen! “ polterte Lord Hutton und begann sofort erneut zu husten.
„Es tut mir Leid, Mrs. Quigley“, entschuldigte Neil sich. „Vielleicht sollte ich morgen wiederkommen... “
„Hier geblieben! “ Lord Hutton starrte den Detektiv so drohend an, wie es ihm sein geschwächter Zustand erlaubte. „Und Sie“, fügte er mit einem finsteren Blick auf seine Krankenschwester hinzu, „machen, dass Sie fortkommen! “
„Sie haben noch genau fünf Minuten“, meinte Mrs. Quigley an Neil gewandt, ohne Lord Hutton zu beachten. „Keinen Augenblick länger! “
„Ich werde mich daran halten. “ Neil wusste nicht, wer von beiden ihm mehr Angst einjagte.
„Ich entscheide, wie viel Zeit er noch hat“, widersprach Lord Hutton erbost.
„Jawohl, das tun Sie“, stimmte Mrs. Quigley zu. „Denn sobald ich höre, dass Sie sich wieder die Lungen aus dem Leib husten, fliegt er raus, versprochene fünf Minuten hin oder her! “ Sie schlug energisch die Schlafzimmertür hinter sich zu.
„Am liebsten würde ich sie rauswerfen“, knurrte Edward gereizt. „Wie zum Teufel hat Potter ihn aus den Augen verloren? “ fragte er dann und wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem verängstigten kleinen Mann vor ihm zu.
Neil starrte verdrossen auf sein geschlossenes Notizbuch. „Das stand nicht in seinem Telegramm, Eure Lordschaft. Ich nehme an, er hat einen Augenblick nicht aufgepasst oder den Abstand zwischen seiner Kutsche und der von Kent
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