Ophran 3 Die entflohene Braut
“
„In meinem Herzen weiß ich, dass er am Boden zerstört war“, erwiderte Amelia, „und dass er erkannt haben muss, dass es nicht mein freier Wille war. “
Jack zog zweifelnd die Braue hoch. „Was lässt Sie glauben, dass er sich nicht einfach eine andere Braut gesucht hat? “ „Percy hat mir geschworen, dass es nie eine andere Frau in seinem Leben geben wird. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er in den vergangenen Monaten ebenso gelitten hat wie ich. Er wird überglücklich sein, dass ich zu ihm zurückkehre und unserer Heirat nun nichts mehr im Wege steht. “
Sein tief verwurzelter Zynismus verleitete Jack zu der Frage, ob der erste Gedanke des Viscounts nicht ein ganz anderer sein würde. Durch die öffentliche Missachtung des Willens ihrer Eltern und die Flucht am Tag ihrer Hochzeit hatte Miss Belford die Bande zu ihrer Familie gekappt und damit zugleich jeglichen Anspruch auf eine Mitgift oder ein Erbe verloren. Lord Philmore mochte ursprünglich gehofft haben, Mr. und Mrs. Belford würden die Verbindung ihrer Tochter nach einer heimlichen Verlobung und Hochzeit schließlich doch noch gutheißen und dem jungvermählten Paar ermöglichen, sich denselben aufwendigen Lebensstil zu leisten, den ihr wertes Töchterlein gewohnt war. Doch es gab einen erheblichen Unterschied zwischen einer heimlichen Flucht mit einer ungebundenen Erbin und der Heirat mit einer davongelaufenen Braut, die im Mittelpunkt eines höchst peinlichen Skandals stand.
„Besitzt Philmore eigenes Vermögen? “
Amelia sah ihn verblüfft an.
„Verzeihen Sie. “ Jack wurde bewusst, dass Miss Belford sich vermutlich nie mit derart profanen Dingen wie Fragen nach den persönlichen Vermögensverhältnissen hatte befassen müssen und möglicherweise nicht erkannte, dass die Männer, die so eifrig um sie geworben hatten, dies wohl nicht nur auf Grund ihrer außergewöhnlichen Schönheit getan hatten. „Was ich meinte, war... “
„Ich weiß genau, was Sie meinten, Mr. Kent“, versicherte Amelia ihm kühl. „Auch wenn Sie mich dafür halten mögen, ich bin keine Närrin. Ich habe das vergangene Jahr auf dem Heiratsmarkt in London und Paris verbracht, und ich bin mir sehr wohl der traurigen Tatsache bewusst, dass die meisten Männer - Lord Whitcliffe eingeschlossen - mich hauptsächlich als großartige Einkommensquelle betrachten. Londoner Stadtvillen und ländliche Anwesen sind kostspielig im Unterhalt, und viele englische Lords verfügen derzeit nicht über genügend Einkommen, um dafür zu sorgen, dass ihnen das Dach über dem Kopf nicht im nächsten Augenblick um die Ohren fliegt. Die Hochzeit mit einer amerikanischen Erbin, selbst wenn sie einen so scheußlichen Akzent hat wie ich, verschafft ihnen die Mittel, ihre Schulden auf einen Schlag zu tilgen und ihrem verschwenderischen Lebenswandel auch fortan zu frönen. “
Ihre Wangen glühten vor Empörung. Es war offensichtlich, dass er sie gekränkt hatte.
»Ich kann Ihnen versichern, dass Viscount Philmore anders ist“, fuhr sie entschieden fort. „Zwar bin ich über seine finanziellen Verhältnisse nicht genau im Bilde, doch ich kann Ihnen mit Gewissheit sagen, dass er ein ehrenwerter Mann ist, der sich nicht um das Vermögen meiner Eltern schert. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, hat Percy mir geschworen, dass der Reichtum meiner Eltern ihm nichts bedeute - ich allein habe sein Herz erobert. “ Ihre Augen blitzten herausfordernd. „Finden Sie das so schwer zu glauben, Mr. Kent? “
Was für eine rätselhafte Frau, dachte Jack. Einen Augenblick lang ähnelte sie einem verlassenen Kind, wie sie sich, die Hände zerkratzt, die Augen rot gerändert, in die zerfetzten Reste ihres Kleides schmiegte, doch schon im nächsten erinnerte sie an einen Racheengel und erfüllte die Kutsche mit ihrer Kraft und Leidenschaft, während sie den Mann ihres Herzens verteidigte. Wenn dieser Philmore auch nur die leiseste Ahnung davon hatte, welche Frau sich hinter der glänzenden Fassade von Reichtum und Vornehmheit verbarg, müsste er ein Narr sein, sie nicht zu begehren.
Leider wusste Jack aus Erfahrung, dass die meisten Männer, die in ein Leben voller Privilegien hineingeboren wurden, ziemliche Hohlköpfe waren.
Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn, ermahnte er sich ungeduldig. Er hatte ein Treffen mit dem Geschäftsführer seiner Reederei geplant, um gemeinsam die Konten durchzugehen und die Einzelheiten der für die nächsten vier Monate anstehenden Verschiffungen zu
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