Ophran 3 Die entflohene Braut
verlassen, erkannte Jack. Was konnte er tun, damit sie blieb? Was konnte er sagen, damit sie ihm die schändliche Art und Weise verzieh, in der er sie ausgenutzt hatte? Seine Gedanken überschlugen sich. Amelia war hier, weil ihr das Schicksal dieser kleinen Alex am Herzen lag. Es war unglaublich, dass sie in ihrer gegenwärtigen Lage, wo eine Belohnung auf ihren Kopf ausgesetzt war und sie ver suchte, sich ein neues Leben aufzubauen und auf eigenen Füßen zu stehen, ein obdachloses Waisenkind mit nach Hause brachte. Sie hatte nichts mit der verwöhnten Erbin gemein, für die er sie am Tag ihrer Hochzeit gehalten hatte, während er ungeduldig auf ihr Erscheinen wartete. Eine kleine Streunerin heimzubringen, die versucht hatte, ihre Handtasche zu stehlen, war nur folgerichtig für eine Frau, die darauf bestanden hatte, ihre kostbaren Diamantohrringe zu verkaufen, um eine ganze Schar obdachloser Familien mit Nahrung und Kleidung zu versorgen.
Jack wollte nicht, dass sie zu Annabelle ging. Er wollte nicht, dass sie fortging, ganz gleich, wohin. Das war alles, woran er denken konnte, während er sie anschaute, das Herz erfüllt von Sehnsucht, Verzweiflung und der schwachen Hoffnung, sie könne ihm vielleicht, nur vielleicht, verzeihen, wer er war und was er ihr angetan hatte.
„Sie kann hier bleiben. “
Amelia zog verwirrt die Stirn kraus. „Du meinst, heute Nacht? “
„So lange, wie du einen Platz für sie brauchst. “
Ein Ausdruck der Verwunderung huschte über ihr bezauberndes Antlitz, wurde jedoch rasch von Mutlosigkeit verdrängt. „Das ist sehr freundlich von dir, Jack, doch ich glaube nicht, dass es möglich sein wird. Du bist viel auf Reisen, und ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich allein um | ein Kind kümmern willst. “
„Ich wollte nicht sagen, dass ich mich um sie kümmern | würde“, stellte Jack klar. „Ich wollte damit nur ausdrücken, dass ihr beide hier wohnen könnt, bis du die Zeit für gekommen hältst, eine eigene Bleibe für euch zu suchen. Ich werde bald für einige Monate verreisen“, fügte er hinzu, falls sie befürchtete, er würde sie abermals bedrängen. „Doch ich würde Oliver, Eunice und Doreen bitten, dir bei der Versorgung von Alex zur Hand zu gehen. Du wirst ihre Hilfe brauchen, vor allem, da du tagsüber im Hotel arbeitest und sie nicht mitnehmen kannst. “
Jack hat Recht, erkannte Amelia.
„Ich bin sicher, dass Annabelle dir gern mit Alex behilflich | sein würde, doch sie hat bereits einen Ehemann und vier eigene Kinder, ganz abgesehen von ihrer Arbeit als Schriftstellerin. Wäre es da anständig, ihr noch eine weitere Verpflichtung aufzubürden? “ In Wahrheit war er ziemlich sicher, dass jedes seiner Geschwister Amelia und ihr Pflegekind anstandslos bei sich aufgenommen hätte, doch das verschwieg er ihr wohlweislich.
„Ich fürchte, nein“, gab Amelia zu. „Doch was ist mit Oliver, Eunice und Doreen? Glaubst du nicht, dass sie es kaum noch erwarten können, heimzukehren? “
„Dann wären sie längst verschwunden, und ich hätte meine Ruhe“, brummte er. „Ich glaube, es macht ihnen einen Heidenspaß, hier nach dem Rechten zu sehen und mich zu piesacken. Genevieve und Haydon beschäftigen so viele jüngere Dienstboten, dass die drei kaum noch etwas zu tun haben. Dich und Alex um sich zu haben, wird ihnen das Gefühl geben, gebraucht zu werden - und ihre Aufmerksamkeit ein wenig von mir ablenken. “
„Es schien ihnen tatsächlich Freude zu machen, sich heute Abend um Alex zu kümmern“, antwortete Amelia. „Und sie kannten all ihre Tricks... Zum Beispiel als sie Essen in ihrer Serviette versteckt oder Bauchweh vorgeschützt hat, um bleiben zu dürfen. “
„Sie wissen, wie Kinder denken. “ Besonders solche, die gezwungen sind zu stehlen und zu lügen, um zu überleben.
Amelia betrachtete Jack eine geraume Weile. Er erwiderte ihren Blick mit dumpfem Gleichmut, so als kümmere es ihn nicht, welche Entscheidung sie traf. Doch seine angespannten Wangenmuskeln und die zu Fäusten geballten Hände zeigten ihr, dass sie ihm alles andere als gleichgültig war.
„Bleib, Amelia“, bat Jack mit leiser Stimme, aus Furcht, sie würde sein Angebot ablehnen. „Lass mich wenigstens das für dich tun. “
Die Worte schwebten in der Luft, eine ungeschickte, unangemessene Entschuldigung. Verzeih mir, hatte er sagen wollen. Alles, was ich dir angetan habe.
Angesichts der Art und Weise, wie er sie ausgenutzt hatte, besaß sie jedes Recht der
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