Ophran 3 Die entflohene Braut
mir zu Abend zu essen. “
Sowohl der Junge als auch Oliver sahen sie entgeistert an.
Der Junge fand als Erster die Fassung wieder und schnaubte verächtlich. „Sie halten mich wohl für blöd! Als ob eine feine Dame wie Sie mich zu sich nach Hause einladen würde! Oder hatten Sie vor, mir irgendwelche ranzigen Essensreste im Hof vorzusetzen, wie einem Hund? “ Er spie auf den Boden und machte deutlich, was er von dem Gedanken hielt.
„Ich habe dich zu einer leckeren warmen Mahlzeit bei Tisch mit mir und dem Rest der Familie eingeladen“, erklärte Amelia.
„Aber klar doch“, entgegnete der Junge spöttisch. „Sie haben gedacht, es wär ’ne feine Sache, wenn ich mir mit Ihren Blagen das Essen teile. So ’ne Art Lehre fürs Leben, was? Vergessen Sie’s! Ich kann darauf verzichten, mich hochnäsig anglotzen zu lassen! “
„Ich habe gar keine Kinder“, sagte Amelia, dachte dabei jedoch plötzlich daran, dass Annabelle sehr wohl welche hatte. Was würden ihre Gastgeber davon halten, wenn sie mit diesem höchst streitbaren jungen Dieb bei ihnen auftauchte und darum bat, dass sie ihn in ihrem wunderschönen Heim willkommen hießen? Würde Annabelle es als edle und großzügige Tat betrachten? Oder würde sie befürchten, dass der Junge vor ihren Kindern fluchen und schimpfen und sie dadurch verängstigen und verwirren könnte?
„In Jacks Haus gibt es keine Kinder“, meinte Oliver, als habe er Amelias plötzliche Bedenken erahnt. „Wir könnten ihn dorthin mitnehmen. “
Amelia biss sich verzagt auf die Unterlippe. „Ich möchte Jack nicht stören. “ In Wahrheit wollte sie ihn nicht einmal sehen, doch das konnte sie Oliver kaum sagen.
„Das würden Sie nicht“, versicherte Oliver. „Er arbeitet jeden Tag bis spät in die Nacht. Ich soll ihn heute erst nach Mitternacht abholen kommen, und ich bin sicher, dass Eunice, Doreen und Sie das Bürschlein bis dahin gefüttert und vielleicht sogar ein wenig gewaschen haben. “ „He, was reden Sie da für ’n Zeug? “ erkundigte sich der Junge. „Waschen kommt nicht infrage! Entweder Sie nehmen mich so, wie ich bin“, verkündete er bestimmt, „oder Sie verschwinden! Ich kann noch anderswohin gehen, wo es den Leuten schnurz ist, wie ich aussehe! “
„Weil sie dort genauso ausschauen und riechen wie du -oder noch schlimmer“, entgegnete Oliver ungeduldig. „Wenn du das vermutlich beste Essen deines Lebens genießen willst, dann halt jetzt dein freches Mundwerk und lass uns ein bisschen von dem Dreck abschrubben, den du am Leib hast. “
Der Junge verschränkte trotzig die Arme vor seiner schmächtigen Brust. „Verschwindet! “
„Du brauchst dich nicht so überstürzt zu entscheiden“, sagte Amelia. „Warum fahren wir nicht heim und sehen nach, was Eunice und Doreen zum Abendessen gekocht haben? Dann kannst du immer noch entscheiden, ob es sich lohnt oder nicht. Eunice macht wundervollen Lammbraten mit Knoblauch und Kräutern“, fuhr sie fort. „Und einen köstlichen Dattelpudding mit warmer, klebriger Karamellsoße. Sie backt auch die leckersten Fladenbrote, die du je gegessen hast, ganz weich und locker und mit viel frischer Butter und Käse serviert. Ich bin ziemlich sicher, dass es dir schmecken würde. “
Die Augen des Jungen weiteten sich bei der Aufzählung all dieser Köstlichkeiten. „Keine Tricks? “ fragte er misstrauisch. „Ich kann einfach essen und dann wieder gehen? “ „Keine Tricks“, versicherte Amelia mit feierlicher Miene. „Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du uns gestattest, dich ein wenig zu säubern, bevor du an den Tisch kommst. Eunice und Doreen werden dir gewiss nicht erlauben, irgendetwas anzufassen, bevor du dir nicht wenigstens die Hände und das Gesicht gewaschen hast. “
„Na schön“, willigte er ein, und es klang, als sei dies ein ungeheuer großes Opfer seinerseits. Er stolzierte zur Kutsche, riss den Wagenschlag auf und kletterte hinein.
„Glauben Sie, Eunice und Doreen werden etwas dagegen haben? “ fragte Amelia, mit einem Mal beunruhigt, dass die beiden Frauen es als Zumutung empfinden könnten, wenn sie mit diesem übel riechenden Bengel auftauchte.
Oliver lachte vergnügt in sich hinein. „Sie werden so erfreut sein, Sie zu sehen, dass es ihnen gleich ist, wen Sie mitbringen“, prophezeite er. „Außerdem wissen sie, wie man mit aufsässigen Bürschchen wie diesem hier umgeht. “
„Ich hoffe, Sie haben Recht. “ Amelia ließ sich von Oliver in die Kutsche
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