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Opium bei Frau Rauscher

Opium bei Frau Rauscher

Titel: Opium bei Frau Rauscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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Großen mit Platitüden zu jonglieren, ohne seine wahre Meinung offenbaren zu müssen. Die Malerei war für ihn wie Literatur und Musik eine Frage des Geschmacks. Gefiel sie ihm, war sie gut, mißfiel sie ihm, war sie schlecht. So einfach war das. Und Alicia Sacrada war ganz eindeutig eine verhaltensauffällige, unfähige Künstlerin, die durch Zufall an einen Mäzen geraten war, der nichts anderes wollte, als sie hin und wieder zu pimpern. In ihrem Glam-Rock-Kleid und der Afro-Frisur wirkte sie, als würde sie selbst beim Schwangerschaftstest durchfallen. Trotz der Offensichtlichkeit ihrer handwerklichen Defizite erntete Alicia Sacrada allerorten nur Lob und Anerkennung. So stand es in den Zeitungen.
    „Seelische Kompaktheit … ja … so habe ich das noch nie betrachtet, aber … ja … Sie sind nicht zufällig Kunstkritiker?“
    Herr Schweitzer wäre gerade jetzt gerne Kunstkritiker. Dann würde er nämlich den Laden schließen und verrammeln. „New York Times. Zuständig für Europa und Vorderen Orient. Angenehm, Herr Schweitzer.“
    „Ooooh, New York Times. Auch angenehm, Brandt, Alois Brandt. Ich schreibe für die Lokalpresse, Freelancer, oder wie man bei euch sagt. Das ist ja echt der Gipfel. New York Times bei uns in Bornheim.“ Beim Weggehen murmelte er noch: „Seelische Kompaktheit …“
    Da Herr Schweitzer sich nie mit dem Feuilleton der Tageszeitung beschäftigte, entging ihm, wie eine weitere Platitüde den Künstlerwortschatz fortan bereicherte. Seelische Kompaktheit.

Seine eigene seelische Kompaktheit reifte zur höchsten Vollendung, als Maria, nachdem sie endlich wieder an seiner Seite war, ganz leise in sein Ohr sprach: „Nimm’s mir nicht übel, Simon, aber das hier ist großer Scheißendreck.“
    „Aber Schatz, jetzt reiß dich doch bitte mal zusammen“, entgegnete Herr Schweitzer echauffiert. „Wie kannst du nur so reden? Schau dich doch mal um. Allein die seelische Kompaktheit …“
    „Sag mal, wie viele von den Pikkolöchen hast du dir denn genehmigt?“
    „Ein einziges. Wieso?“
    „Schon gut. Wollen wir noch ins Weinfaß? Die gehen mir hier ziemlich auf die Eier.“
    Hmm, dachte Herr Schweitzer, erst das mit dem Sex, dann das mit dem Scheißendreck und jetzt das mit den Eiern. Marias Sprache war in letzter Zeit ganz schön unter die Räder gekommen, fand er. „Weinfaß ist immer gut.“ Zumindest besser als diese unsägliche Vernissage im oberen Teil der Berger Straße.
    Man tauchte ab in die U-Bahnstation Bornheim-Mitte.
    Weizenwetter samt Freundin Karin, die auch Marias beste Freundin war, der Altrocker René vom Frühzecher, dessen Kumpel Earthquake-Werner, Buddha Semmler und Ferdi, der Taxler, sie alle waren da, als Maria und Herr Schweitzer eintraten. Für einen Montag war das ungewöhnlich, eine derartig hochkarätige Besetzung konnte man sonst fast nur am Wochenende vorfinden.
    „Wie lauft ihr denn rum?“ wurden die beiden von der Wirtin in Empfang genommen.
    Wegen der vorangegangenen Veranstaltung in Bornheim hatte sich Herr Schweitzer mit einem weißen Hemd mit Stehkragen und polierten schwarzen Halbschuhen herausgeputzt. Auch Maria strahlte in ihrem dunkelblau schimmernden Abendkleid eine betörende Eleganz aus, die in diesem Weinlokal etwas fehl am Platze wirkte. „Wir kommen direkt von einer Vernissage“, klärte Herr Schweitzer die Gemeinde auf, „da läuft man so rum.“
    Doch niemand ging auf seine Erklärung ein, was ihn sehr wunderte. Wie eh und je hatte er mit allerlei Spott und Hohn gerechnet. Herr Schweitzer nahm Marias Mantel und ging zur Garderobe. Think big, dachte er auf dem Rückweg und bestellte sich ein großes Bier. Wein kam nicht in Frage, nach dem damenhaften Pikkolöchen verlangte sein Gaumen etwas Deftiges. Dicht gedrängt umlagerte man ein hölzernes Weinfaß, das als Stehtisch diente.
    „Hast du schon gelesen?“ fragte Buddha Semmler und überreichte ihm das Sachsehäuser Käsblättche.
    Herr Schweitzer hatte es in letzter Zeit immer mehr mit den Augen. Dramatisch war das nicht, immerhin hatte er erst letztens seinen einundfünfzigsten Geburtstag gefeiert, und in diesem fortgeschrittenen Alter war eine kleine Sehschwäche nichts, dessen man sich grämen mußte. Allein, was nutzte es, vergaß er doch noch regelmäßig, seine Brille einzustecken. „Kannst du mir das bitte kurz zusammenfassen, Semmler?“
    „Kannst wohl nicht mehr richtig gucken“, sprach Bertha, die ihm den Bierhumpen brachte. In Sachsenhausen galt man nur dann als

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