Opium bei Frau Rauscher
behindert, wenn es mit dem Gucken nicht mehr klappte. Immer horche, immer gucke, war in diesem Landstrich die Lebensphilosophie schlechthin.
Er wartete, bis Bertha wieder zurück am Tresen war. „Also, was steht drin?“
Buddha Semmler faßte sich kurz. Die Überschrift habe er, Herr Schweitzer, ja wohl noch lesen können – Skandal in Alt-Sachsenhausen.
„Ja, hab ich.“
Und dann erzählte der Apfelweinkellner, daß die Schwuchtelbar Zur schwulen Frau Rauscher zum Stein des Anstoßes geworden sei. Mehrere benachbarte Kneipiers hätten eine Interessengemeinschaft gegründet, welche sich gegen Etablissements dieser Art zur Wehr zu setzen gedenke. Das sei moralisch höchst verwerflich, gerade die Jugend brauche Vorbilder. Und Massen von Homosexuellen, die sich gar in der Öffentlichkeit küßten, würden da eine vollkommen falsche Richtung vorgeben. Allerdings habe der Verfasser der Zeilen da völlig zu Recht eine konträre Meinung eingenommen. Vor kurzem wollte man mit der Veranstaltungslokalität Das Bett, die gerade bei Jugendlichen sehr beliebt ist, schon einmal eine Kneipe zur Aufgabe zwingen. Da gebe sich die Stadtverwaltung größte Mühe, ein wenig Flair in das in schlechtem Ruf stehende Vergnügungsviertel zu bringen, und dann glänzen die alteingesessenen Gaststättenbetreiber mit Intoleranz und ekelten Leute mit innovativen Ideen heraus. Beim Bett sei zum Beispiel die Musik zu laut gewesen. Angeblich habe man sich in einigen umliegenden Lokalen nicht mehr richtig unterhalten können. Er, Buddha Semmler, sei ja nun auch schon ewig und drei Tage im Gewerbe tätig, und seiner bescheidenen Meinung nach könne eine schwule Frau Rauscher keinen zusätzlichen Schaden anrichten. Man brauche sich da bloß mal die am Wochenende einfallenden Horden genauer betrachten. Schlimmer geht’s nimmer. Eine Junggesellenabschied feiernde Truppe nach der anderen. An Spitzentagen habe er davon schon über zwanzig gezählt. Und die wenigen Sachsenhäuser, die überhaupt noch dorthin gingen, würden diesen früher oder später volltrunkenen, mit denselben Einheitsshirts herumtorkelnden und jeden, aber auch jeden anquatschenden Vollidioten am liebsten Platzverbot erteilen. Zumal sich einige von denen den Spaß erlaubten, an mehreren Wochenenden hintereinander Junggesellenabschied zu feiern, weil sie es echt dufte finden, in der einen oder anderen Kneipe zum wiederholten Male einen ausgegeben zu bekommen. „Widerlich, einfach nur widerlich“, schloß Buddha Semmler seinen Bericht. „Nur gut, daß mein Chef da anders ist. Ich würde sonst sofort kündigen.“
Herr Schweitzer hatte aufmerksam zugehört. „Vielleicht sollten wir auch eine Interessengemeinschaft gründen. Pro Zur schwulen Frau Rauscher. Oder so.“
Ein Lächeln huschte über Buddha Semmlers Gesicht. „Ich wäre dabei.“ Er rückte Herrn Schweitzer auf die Pelle: „Du, jetzt sag mal, die Lola, hat die wirklich einen Freund?“
Der Detektiv schwankte zwischen Geheimniskrämerei und Aufklärung. Ersteres hätte den Vorteil der allgemeinen Erheiterung, zweiteres entsprach seinem Naturell. „Hör zu, Buddha. Im Prinzip hast du dir die Suppe ja selbst eingebrockt, aber …“
„Aber was? Welche Suppe?“
„Gut, ich erzähle es dir. Aber nur, weil du’s bist.“
Buddha Semmler war ganz Ohr.
„Lola ist ein Mann.“
Der Apfelweinkellner nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Dies war jedoch nur ein Reflex. Als sich ihm die ganze Tragweite offenbart hatte, verzogen sich seine Gesichtszüge rasend schnell. Das sei doch lachhaft, wollte er schon sagen, doch stattdessen nahm er sein Weinglas und stürzte den Inhalt hinunter. „Das macht Sinn, Simon. Ist ja schließlich eine Schwulenkneipe, wo die Lola bedient.“
„Siehst du, Semmler. Das wollte ich dir schon damals sagen, als wir in der schwulen Frau Rauscher waren. Aber du warst irgendwie nicht ansprechbar.“
Nun, da der Traum geplatzt war, fand Buddha Semmler auch wieder zu sich selbst. „Scheiße.“ Er fing an zu lachen. Erst ganz leise, dann immer lauter. Bis die anderen Gespräche verstummt waren.
„Was hat er denn?“ Es war Karin, die diese Frage stellte.
„Unser Buddha hat es sich noch mal durch den Kopf gehen lassen. Er ist jetzt doch nicht schwul“, gab Herr Schweitzer bereitwillig Auskunft.
Von den anderen wußte nur Maria, um was es ging. Obwohl in Sachsenhausen viel geschwätzt wurde, ja, das Dummrumbabbeln quasi zur zweiten Natur der hiesigen Menschen gehörte, behielten
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