Opium bei Frau Rauscher
weg.“
„Weg?“
„Richtig. Weg. Wie mein Mercedes und Jürgen. Einfach weg.“
Herr Schweitzer fand es bezeichnend, erst der Mercedes und dann Jürgen. Was wollte man von so einer auch anderes erwarten? Er gab dem Beamten ein Zeichen, daß für ihn die Unterredung beendet war.
Insgesamt waren es drei schwere Eisentüren, die er passieren mußte, bis er wieder frei durchatmen konnte.
An der Konstabler Wache warb ein Kaufhaus mit reduzierten Preisen um Kundschaft. Mit dem Vorsatz, in Zukunft mehr aus seinem Typ zu machen, erwarb Herr Schweitzer zwei Hemden und eine schwarze Stoffhose.
Und jetzt mal in aller Ruhe, dachte er sich. Es kam selten vor, daß er allein in Marias Heim herumturnte. Schon vor ein paar Jahren hatte er von seiner Freundin die Schlüssel bekommen, denn in ihrer Abwesenheit mußte Herr Schweitzer regelmäßig die Post kontrollieren und die Blümchen gießen. Von Berufs wegen war seine Liebste sehr oft auf Reisen.
Den Stuhl hatte er gegen einen bequemen Sessel getauscht, und auch die Flasche Rotwein fehlte nicht. Im IT-Bereich war er mittlerweile insoweit firm, daß er ohne Mühe den Computer einschalten und einfache Aufgaben in Angriff nehmen konnte, ohne daß seine Maria dabeisein mußte. Inbrünstig betete er, das Scheißding möge ausnahmsweise mal nicht rumzicken. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß der Computer seinen ganz persönlichen Kleinkrieg mit ihm, Herrn Schweitzer, führte. Nachgerade zeremoniell füllte er den Rotwein ins Glas. Er drückte auf die Wiedergabetaste.
Schon beim ersten Anschauen bekam er ein vages Gefühl von dem, was Schmidt-Schmidt gemeint haben könnte. Je öfter er die Szene abspulte, umso konkreter nahm dieses Gefühl Formen an. Zur Steigerung seiner nun sensibilisierten Aufnahmefähigkeiten drehte sich Herr Schweitzer einen Joint, den er aber im Garten rauchte, denn Maria war Nichtraucherin und besaß zudem ein feines Näschen. Allzuviel Dope bröselte er aber nicht hinein, das hätte dann womöglich eine gestörte, surreale Sichtweise zur Folge gehabt.
Alles in allem war es aber maximal ein ambivalentes Gefühl, welches sich seiner bemächtigte. Jürgen benahm sich, wie es sich für einen Angeschossenen gehörte. Er kippte mit waidwunden Augen vornüber und legte dabei die rechte Hand auf die Schußwunde. Blut war noch keines zu sehen, aber so kurz nach dem Schuß ist das normal, sagte sich Herr Schweitzer. Außergewöhnlich war jedoch seine linke Hand, die zu einer Kugel geformt sich der Schützin entgegenstreckte. Für Stalingrad war der Detektiv zu jung, so daß er in seinem Leben noch niemanden hatte sterben sehen. Und doch ahnte er, so wie Jürgen starb man allenfalls auf Bühnen. Im Theater. Dort, wo pathetische Gesten auf der Tagesordnung respektive im Programmheft standen. So konnte man es sehen. So mußte man es aber nicht sehen. So weit es Herr Schweitzer einzuschätzen vermochte, war Jürgen Sikora ja auch im Leben ein Schaumschläger und großen Gesten nicht abgeneigt. Warum also nicht auch im Tode?
Er schaltete den Computer aus. Hmm? Was nun? Er wußte es nicht. Als Übersprungshandlung goß sich Herr Schweitzer erneut sein Glas voll.
Dann ließ er noch einmal alles Revue passieren. Keine Schmauchspuren an Sabines Kleidung. Lolas merkwürdiges Verhalten während und nach der Tat, wobei noch gar nicht klar war, wie sie denn allgemein reagiert hatte. Aber merkwürdig war es so oder so. Keine Patronenhülsen am Tatort. Der Mercedes, keine vierzig Minuten nach der Tat verschwunden und erst am nächsten Morgen am Main entdeckt. Die Tatwaffe, unauffindbar. Sabine Sikora, eine Frau mit tausend Gesichtern, mal kleines verzogenes Gör, mal ausgefuchste Geschäftsfrau. Und das Opfer erst. Ein Großmaul vor dem Herrn. Ein Frauenheld mit homosexuellen Neigungen. Ein Spieler. Ebenfalls von der Bildfläche verschwunden.
Und jede Menge anderer offener Fragen. Wer ist eigentlich der Besitzer des Hauses, in dem der Mord geschah? Lola selbst? Was ist mit Fingerabdrücken im Mercedes, anhand derer man doch den letzten Fahrer identifizieren könnte? In welchem Zusammenhang stehen die Drogen, die er bei der Frau Rauscher entdeckt hatte? Und was ist mit der Kneipe Zur schwulen Frau Rauscher? Wem gehört sie, wer ist der Geschäftsführer?
Herr Schweitzer wechselte auf die Couch und schloß die Augen. Sein Denkapparat glühte. Um noch zusätzliche Kapazitäten zu mobilisieren, massierte er sich die Stirn. Zwei Dinge kristallisierten sich heraus. Zum
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