Optimum 1
Daniel-Nathans-Akademie ging. Sie hätten es ihr sicher nicht erlaubt, wenn da nicht dieses Stipendium gewesen wäre. Es gilt nur für diese spezielle Schule, weißt du, und vermutlich wollten sie nun niemanden vor den Kopf stoßen, also haben sie es doch angenommen.«
»Warum wollten ihre Eltern nicht, dass sie hierherging?« Das kam Rica mehr als seltsam vor. »Ich meine – es ist doch eine gute Schule, oder nicht? Das merke ja sogar ich, auch wenn ich wirklich nicht hierhergehöre.«
Lars zuckte erneut mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Jo war irgendwie sauer darüber, glaube ich. Obwohl sie sich nicht so richtig wohlgefühlt hat.«
»Jo hätte sich nirgendwo richtig wohlgefühlt«, murmelte Rica. Sie war überzeugt, dass das stimmte. Jo war jemand, der nur sehr schlecht irgendwohin gepasst hatte, und schon gar nicht zwischen all die wohlerzogenen Musterschüler hier. Die sich gegenseitig in der Halle umzubringen versuchen , dachte sie und lächelte bitter.
Aber all das brachte sie leider kein Stück weiter. Lars schien nicht mehr über Jo zu wissen als sie selbst. Oder verbarg er etwas vor ihr? Sie warf ihm einen flüchtigen Seitenblick unter halb geschlossenen Lidern zu, aber Lars starrte schon wieder blicklos in die Ferne. Auf seinen Zügen spiegelte sich Kummer. Offensichtlich tat ihm die Erinnerung an Jo weh. Rica hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm einen Arm um die Schulter zu legen und ihn zu trösten, aber sie war sich nicht sicher, wie er das auffassen würde.
»Hast du eine Ahnung, warum sie sich umgebracht haben sollte?« Wahrscheinlich war es am besten, den direkten Ansatz zu versuchen.
Lars zuckte bei den Worten zusammen und wurde merklich blass. Offensichtlich war er so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er Ricas Anwesenheit vollkommen vergessen hatte. Als er sich ihr wieder zuwandte, war sein Blick noch trauriger geworden. Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Ich kann es mir nicht vorstellen«, murmelte er. »Natürlich – sie war nicht glücklich, nicht immer, aber warum … warum … Jo war immer so voller Kampfesgeist, so lebendig …« Wieder schien er abzuschweifen. »Es passt einfach nicht zu ihr«, murmelte er.
Wenigstens etwas, in dem wir uns einig sind, dachte Rica. Aber das bringt mich immer noch nicht weiter. Soll ich noch einen Schritt wagen? Sie strich Odi durchs weiche Fell, als könne sie aus der Berührung Kraft ziehen.
»Glaubst du überhaupt daran, dass sie Selbstmord begangen hat?« Nun war es heraus. »Oder hat sie vielleicht … kann es sein, dass jemand sie umgebracht hat?«
Lars zuckte so heftig zusammen, dass Odi erschrocken zurückwich und zu knurren begann. Rica wandte sich ihrem Kletterlehrer zu, der nun weiß wie eine Wand war und sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Wut anstarrte.
»Bist du verrückt? Wie kannst du so etwas sagen?« Lars packte sie so fest am Oberarm, dass es schmerzte. Es fehlte nicht viel, und er hätte sie geschüttelt.
Rica schluckte, versuchte, ein Stück zurückzuweichen, und lächelte verzeihungsheischend. »Ich meine doch nur – du hast selbst gesagt, du kannst nicht glauben, dass sie sich selbst getötet haben soll«, wich sie aus. »Da dachte ich …«
Lars ließ sie los und machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Tut mir leid. Ich habe wohl überreagiert.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast zu viel Fantasie, Rica. Ja, es stimmt, es fällt mir schwer zu glauben, dass Jo sich etwas angetan haben soll. Aber noch unwahrscheinlicher ist doch, dass jemand ihr etwas Böses wollte. Ich meine, sie umzubringen …« Wieder schüttelte er den Kopf. »Das geht doch ein bisschen zu weit mit den Verdächtigungen, meinst du nicht? Vielleicht hast du einfach nur zu viele Krimis gelesen.«
Rica runzelte die Stirn. Sie glaubte nicht, dass ihre Verdächtigungen aus der Luft gegriffen waren. Allein Lars’ Reaktion reichte schon aus, um sie davon zu überzeugen. Das war doch alles nicht mehr normal. Lars wusste mehr, als er zugab. Aber auf diese Weise würde Rica nicht viel aus ihm herausbekommen.
»Tut mir auch leid. Ich denke, es ist einfach so, dass Jos Tod mir irgendwie nicht real vorkommt. Da können einem schon mal seltsame Gedanken kommen, weißt du?« Sie versuchte es mit ihrem besten Kleines-unschuldiges-Mädchen-Gesicht, und Lars schien sich tatsächlich zu entspannen.
»Ich verstehe das«, sagte er. »Aber du musst auch loslassen können, Rica. Sonst wirst du dir am Ende noch selbst
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