Optimum - Kalte Spuren
werfen, drehte sie sich um und verließ die Duschen. Draußen hatte sich Jasmin ein klein wenig beruhigt, aber Simon hatte immer noch den Arm um sie gelegt. Er blickte so hoffnungsvoll zu Rica auf, als könne sie alle Probleme der Welt lösen.
»Jemand muss Frau Friebe holen«, meinte Rica. »Ich glaube, dass das hier nur ein dummer Scherz war. Möchte vielleicht jemand etwas dazu sagen?«
Um sich herum sah sie nur betretene Gesichter mit unbehaglichen Lächeln. Niemand schien sich angesprochen zu fühlen. Rica erhaschte einen Blick auf Michelle Kaltenbrunn, die genauso betreten wie die anderen Mädchen aussah. Seltsamerweise war es dieser Anblick, der Rica wieder ein bisschen Fassung zurückgewinnen ließ. Wenn es schon Miss Großmaul die Sprache verschlagen hatte, musste jemand die Führung übernehmen.
»Ehrlich, es wird hier schon genug Panik verbreitet. Das hier hilft nicht.« Sie deutete auf den Eingang zu den Duschen.
»Du hast recht.« Im ersten Moment glaubte – hoffte – Rica, dass es Robin war, der an ihre Seite trat. Aber als sie aufblickte, sah sie Torben. »Wir können es uns nicht leisten, in Panik zu verfallen«, redete Torben weiter. Er sah zwar Rica dabei an, aber sie hatte das starke Gefühl, dass seine Worte eigentlich an all die anderen Schüler gerichtet waren. Und er hatte Erfolg. Wo die meisten Rica nur irritierte Blicke geschenkt hatten, wandten sich ihm jetzt fast alle Gesichter zu.
Er ist ein guter Anführer, dachte sie nicht zum ersten Mal und spürte die Welle von Autorität, die von ihm ausging, wie zuvor die Angst von Jasmin.
»Was ist da drin wirklich los?«, murmelte er in ihre Richtung.
»Blöde Todesdrohung. Mit Lippenstift geschrieben«, antwortete Rica. Ihr Blick flog über die versammelten Schülerinnen und Schüler und suchte unwillkürlich Saskia. Sie war nicht da. Robin fehlte ebenfalls, und wieder einmal musste Rica gegen ihre Tränen ankämpfen. Dummes Huhn!, schimpfte sie sich.
»Kannst du vielleicht Frau Friebe holen? Von denen hier fühlt sich, glaube ich, keiner angesprochen«, meinte Torben.
Die Mädchen standen immer noch ehrfürchtig vor ihm, aber keine rührte sich auch nur. Ein paar der Jungs kamen jetzt näher. Wo die ganze Angelegenheit nun in »männlicher« Hand war, schienen sie sie auch ihrer Aufmerksamkeit für würdig zu erachten.
»Okay«, sagte Rica und fragte sich, wie oft sie an diesem Tag wohl noch zu der Lehrerin geschickt werden würde. Sie drängte sich zum zweiten Mal durch die Menge der Mädchen und lief zur Treppe, die zum Aufenthaltsraum und den Lehrerunterkünften hinunterführte. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter, doch als sie ihn drückte, passierte gar nichts. Das Licht war mal wieder ausgefallen. Vielleicht hatte jemand an den Sicherungen gespielt, oder die gleiche Person, die sich das im Bad geleistet hatte, fand es besonders witzig, den Nervenkitzel auf diese Weise noch zu erhöhen. Vermutlich sollte die Dunkelheit ihnen allen noch mehr Angst machen.
Bei Rica jedenfalls funktionierte es. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie sich Stufe um Stufe die finstere Treppe hinuntertastete. Sie hätte zurücklaufen und ihre Taschenlampe holen sollen, das war klar, aber nach der Geschichte mit dem toten Hund hatte sie wirklich keine große Lust mehr, in ihrem Rucksack herumzukramen.
Die Stufen knarrten unter ihren Schritten. Ein Quietschen. Und noch eins. Jeder Schritt, den sie machte, musste im ganzen Haus zu hören sein.
Endlich erreichte sie den Fuß der Treppe und tastete abermals nach dem Lichtschalter. Wieder nichts. »Scherzkeks«, grummelte Rica, und begann, sich durch den Aufenthaltsraum zu manövrieren.
Wenigstens hatte hier offensichtlich jemand aufgeräumt. Tische und Bänke standen an ihrem Platz, und auf dem Fußboden lag auch nichts herum. Rica kam gut voran. Jedenfalls, bis sie gegen das Ding stieß.
Sie hatte den dunklen Schemen nicht gesehen, bevor es zu spät war. Eine große, menschliche Gestalt schälte sich unvermittelt aus der Dunkelheit vor ihr und sprang sie an. Rica spürte den Aufprall und roch den muffigen Geruch von alten Kleidern. Sie wurde beinah von den Füßen gerissen. Entsetzt machte sie einen Satz rückwärts, fiel über einen Stuhl und schlug der Länge nach hin.
Fluchend rappelte sie sich wieder auf und machte sich bereit zur Flucht. Der dunkle Schemen war immer noch da, hatte sich aber nicht mehr bewegt. Er schien zu lauern. Wartete offensichtlich darauf, was Rica tun
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