Optimum - Kalte Spuren
verscheuchen.
Vergebens.
Die Stimmen verklangen irgendwo im Hintergrund. Stattdessen kehrten die Bilder zurück, kurze Szenen, die vor ihrem Auge abliefen wie Trailer im Kino. Es waren Bilder aus Elizas Kindheit und andere, die sie nicht so eindeutig einordnen konnte. Sie alle waren vage beunruhigend, wenn nicht gleich Furcht einflößend.
Sie sah ihre Eltern miteinander reden. Das Bild war so unscharf und undeutlich, dass Eliza nicht einmal sagen konnte, von wann diese Erinnerung stammte, es musste lange her sein. Ihr eigener Blickwinkel auf ihre Eltern war irgendwie verschoben, schräg von unten herauf, wie von einem kleinen Kind, das auf dem Boden sitzt. Gesprächsfetzen drangen zu ihr, unvollständig und schwer verständlich.
»… nicht geplant .«
»… Institut anrufen .«
»Besser, wir sagen nicht …«
»… finden sie es sowieso …«
Dann drehten sich beide Eltern zu Eliza um und sahen sie besorgt an. Eliza begann zu weinen, sie wollte nicht, dass ihre Eltern traurig waren. Ihre Mutter kam zu ihr geeilt, und Eliza wurde hochgehoben. Wärme und Zuneigung durchfluteten sie, aber im Hintergrund war da noch immer die Sorge, die an ihrer Mutter nagte. Eliza konnte sie deutlich spüren.
Ein neues Bild. Der Spielplatz hinter dem Haus. Eliza spielte mit einem anderen Mädchen, das lange blonde Haare hatte. Mit untrüglicher Sicherheit wusste Eliza, dass es sich um Vanessa handelte, auch wenn sie Vanessa erst auf der Daniel-Nathans-Akademie kennengelernt hatte.
Das hatte sie zumindest immer geglaubt.
Wieder redete ihre Mutter. Dieses Mal mit einer hochgewachsenen blonden Frau, die Vanessa so ähnlich sah, dass sie nur ihre Mutter sein konnte. Eliza konnte keine Worte verstehen, aber die beiden sahen immer wieder zu ihnen herüber.
Es interessierte Eliza auch wenig. Vanessa hatte ein schönes neues Spiel erfunden. Es ging darum, einen Marienkäfer dazu zu kriegen, in das eigene Tor zu krabbeln. Eliza versuchte es erst mit Stöckchen und Steinchen, die sie dem Käfer in den Weg legte, aber Vanessa begann zu lachen.
»Nicht so ! « , sagte sie. »Du musst ihn dorthin denken !«
Eliza versuchte es, und der Käfer krabbelte direkt auf ihr Tor aus kleinen Stöcken zu. Ihre Mutter kam angestürmt.
»Guck mal, Mama, was ich …«
Ihre Mutter riss sie vom Boden hoch und schleppte sie von Vanessa fort.
Weiß.
Eine weiße Umgebung. Kacheln an den Wänden, auf dem Fußboden. Metalltische. Glasflaschen. Kabel und Geräte, die Eliza nicht kannte. Flache Schalen, die sich auf einem Tisch stapelten.
Ein fremder Mann führte sie an der Hand. Eliza wollte sich gern alles genau ansehen, aber er zog sie einfach weiter. Dann kamen sie in ein Arztzimmer, und Eliza wurde auf eine Liege gehoben.
»Das ist Eliza .« Der Mann ließ sie endlich los, und Eliza rieb sich ihr schmerzendes Handgelenk.
»Primärer Inhibitor ?« , fragte ein anderer Mann in einem Arztkittel. »Wie bei den anderen ?«
»Genau .« Der Mann drehte sich um und verließ den Raum.
Der Arzt beugte sich zu Eliza vor. »Ich werde dir jetzt eine kleine Spritze geben, Eliza. Das piekst vielleicht ein bisschen, aber nicht doll. Und danach geht es dir besser .«
»Aber ich bin nicht krank .«
»Doch, du bist krank, Eliza. Du weißt es nur nicht. Es ist eine sehr, sehr seltene Krankheit .«
»Muss ich sterben ?«
Der Arzt lachte, aber es klang künstlich. Eliza wusste, dass es nicht ehrlich war. Von dem Mann gingen kalte blaue Wellen aus, die eindeutig sagten, dass er nicht einmal ehrlich zu sich selbst war. »Du musst nicht sterben. Nicht, wenn wir das verhindern können .« Er wandte sich ab, nahm ein Glasröhrchen mit einer klaren Flüssigkeit aus einer Schublade und stach eine Spritze durch den Deckel. Während er begann, die Flüssigkeit aufzuziehen, versuchte Eliza, ihn fortzudenken.
Geh weg, geh weg und komm nicht wieder. Stich mich nicht mit dieser Nadel. Ich habe Angst vor Nadeln.
Einen Augenblick lang zögerte der Mann. Sein Blick huschte zur Zimmertür, als überlege er tatsächlich, zu gehen. Dann drehte er sich zu Eliza um und lächelte.
»Du bist richtig gut « , murmelte er leise. »Keiner von den anderen ist so gut. Es ist eine Schande, dass wir das zunichte machen müssen .« Die Wellen, die von ihm ausgingen, waren jetzt dunkelrot und wütend. Aber darunter gemischt war auch ein trauriges Grün. Eliza hätte ihn gern getröstet. Aber sie wollte auch weglaufen. Wenn sein Blick nur nicht so stechend gewesen wäre, dass sie sich wie
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