Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
Aber wenn wir einen Teil der Sachen zurückgeben können …« Er ließ das Ende des Satzes bedeutungsschwer in der Luft hängen. »Verstehst du? Wir wollen dir nur helfen.«
Rica schüttelte den Kopf. »Ich habe …«
Aber sie wurde von Herrn Wolf unterbrochen, der urplötzlich zu ihnen an den Tisch trat und Rica eine Hand auf die Schulter legte. Seine Finger fühlten sich selbst durch ihre Jacke hindurch eisig und schwer an.
»Ich glaube, an dieser Stelle kann ich vielleicht etwas sagen«, meinte er in dem gleichen freundlichen, zuvorkommenden Tonfall, den er Ricas Mutter gegenüber auch schon angeschlagen hatte. »Ich kenne Ricarda und ihre Situation nun schon ein bisschen. Ich kann mir vorstellen, was sie zu dieser Tat getrieben hat. Es ist frustrierend und hart, sich als Schüler an der Daniel-Nathans-Akademie durchkämpfen zu müssen. Besonders, wenn man nicht mit den üblichen Qualifikationen dort angekommen ist.« Der Druck seiner Finger auf Ricas Schulter verstärkte sich. Es fühlte sich jetzt so an, als sei sie in einer Schraubzwinge gefangen. »Also muss man sich bisweilen die eine oder andere Freundschaft erkaufen.«
Der Polizist zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt. »Das ist nicht mein Problem«, meinte er knapp. »Ich weiß nur, dass Waren gestohlen worden sind und dass diese Göre dafür verantwortlich ist.«
Wieder ein kurzer Druck der kalten Finger. Rica konnte die Blicke geradezu spüren, die zwischen Herrn Wolf und dem Polizisten hin und her flogen. »Ich bin mir sicher, wir können eine Lösung für dieses Problem finden«, meinte Herr Wolf ruhig. »Wir können vielleicht unter vier Augen ein paar Worte wechseln, wenn ich mit der jungen Dame hier fertig bin?«
Der Polizist schenkte Herrn Wolf einen langen Blick, dann wandte er sich wieder an Rica. »Damit du es weißt: Für so eine Aktion hast du mit mindestens fünfzig Arbeitsstunden zu rechnen. Ich hoffe, du machst dir das beim nächsten Mal klar, wenn du etwas klauen möchtest.« Damit sammelte er seine Fotos von der Tischplatte auf, ordnete sie in einen akkuraten Stapel und verließ das Zimmer. Nachdem er gegangen war, war es so still, dass man den Flügelschlag eines Schmetterlings hätte hören können. Als die Betreuerin sich schließlich räusperte, fuhr Rica zusammen, weil es ihr so laut vorkam.
»Ich würde gerne mit Ricarda sprechen«, sagte sie höflich zu Herrn Wolf. Rica wandte verwundert den Kopf. Sie hatte geglaubt, dass die beiden zusammenarbeiteten, dass diese Frau auch irgendwie zum Institut gehörte. Ganz offensichtlich war das nicht so, denn Herr Wolf schüttelte energisch den Kopf.
»Unser Institut hat die Verantwortung für dieses Mädchen übernommen«, sagte er fest. »Ihre Mutter hat ihr Einverständnis dazu gegeben.«
Die Betreuerin runzelte die Stirn, sah von dem Mann zu Rica und dann wieder zurück. »Ich weiß nicht, was für eine Einrichtung Sie repräsentieren«, meinte sie schließlich. »Jedenfalls sind Sie nicht vom Jugendamt autorisiert. Ricarda lebt in unserem Wohnheim, also bin ich für sie verantwortlich.«
Herr Wolf sah sie lange an. Als es jedoch klar wurde, dass er die Frau nicht durch sein Starren einschüchtern konnte, lächelte er gewinnend. »Dann werde ich mich mal mit der Polizei unterhalten«, sagte er, bevor er wieder Rica ansah. »Wir reden später.«
»Nur über meine Leiche«, murmelte Rica, aber es war nicht laut genug, dass er sie hören konnte. Mit einem weiteren strahlenden Lächeln verließ er das Büro. Rica blieb allein mit der Betreuerin zurück.
Einige Zeit lang rührte sich keine von ihnen. Rica hatte das Gefühl, nie wieder aufstehen zu können. Sie saß ganz steif da, den Blick auf die Tischplatte gerichtet und versuchte, an alles zu denken, nur nicht an das, was gerade passiert war. Alles in ihr schien steif und tot zu sein, jede Bewegung unmöglich.
Fünfzig Arbeitsstunden.
Jugendrichter.
Rica hatte noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Das Schlimmste, was je passiert war, hatte sich in der Schule mit ihrem Rektor abgespielt, und das hatte lediglich lange Nachmittage nach sich gezogen, an denen sie die Wände der Turnhalle neu gestrichen hatte.
Leise Schritte hinter ihr, dann ließ sich die Betreuerin auf den Stuhl Rica gegenüber fallen. Sie sagte zunächst nichts, sondern griff nur nach einer Thermoskanne und holte aus dem Regal hinter sich zwei Tassen.
»Kaffee?«, fragte sie und wartete Ricas Antwort gar nicht erst ab. Sie schenkte ihr ein, schob die
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