Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
die Gestalt zu finden, die der Polizist offensichtlich meinte. Es war nicht besonders schwer, denn dort unten, direkt vor dem Regal mit der Fotoausrüstung, sah Rica sich selbst. Es gab keinen Zweifel, die Auflösung hier war viel besser und sogar in Farbe. Die Rica auf dem Bild trug sogar Kleider, die ihr bekannt vorkamen: einen kurzen Rock, gelbgeringelte Leggins und eine Jeansjacke. Genau die Kleidung, die sie selbst vor drei Tage angehabt hatte.
Als sie in der Schule gewesen war.
Rica runzelte die Stirn. »Das kann echt nicht sein«, murmelte sie und beugte sich über das Foto. Es musste eine Fälschung sein, ganz klar, sie hatte diesen Laden noch nie gesehen. Und doch war sie auf dem Bild zu sehen. Sie beugte sich noch tiefer darüber. Wenn es eine Montage war, dann war hier jemand am Werk gewesen, der sein Handwerk verstand. Rica konnte keine verwaschenen Ränder sehen, keine Unterschiede in der Fototextur, nichts, was auf einen Schnitt hingedeutet hätte.
»Das bin nicht ich!«, protestierte sie, aber sie merkte, wie ihre Stimme bei diesen Worten zitterte. »Ich hatte Unterricht.«
»Tatsächlich haben wir deine Lehrer gefragt«, entgegnete der Polizist ruhig. »Du hast unentschuldigt gefehlt.«
Rica spürte, wie ihr etwas wie Eiswasser durch die Adern floss. Das ganze Blut musste aus ihrem Gesicht gewichen sein, als sie zu dem Mann aufsah. »Das stimmt nicht. Ich war da. Ich hab mir Aufzeichnungen gemacht. Meine Mitschüler …«
Der Polizist machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin nicht an den Lügen von Schülern interessiert, die du auf deine Seite gezogen hast, Ricarda. Ich möchte nur wissen: Wo sind sie?«
»Wo ist wer?« Rica war so verwirrt von der Tatsache, dass da offensichtlich sie selbst auf den Fotos war, dass sie sich noch gar nicht gefragt hatte, warum man ihr nachweisen wollte, in diesen Läden gewesen zu sein.
»Die Waren, die du gestohlen hast«, sagte der Polizist beiläufig und zog einen Zettel aus seiner Tasche. Umständlich faltete er ihn auseinander, legte ihn auf den Tisch und strich die Papierfalze glatt. All dies tat er mit einer so entnervenden Präzision, dass Rica ihm den Zettel am liebsten entrissen hätte.
»Kleidung im Wert von vierhundert Euro«, las der Polizist vor. »Aus drei verschiedenen Läden. Dazu Alkohol im Wert von zweihundert Euro, Fotoausrüstung für über fünfhundert Euro, Unterhaltungsmedien im Wert von zweihundertfünfzig Euro …«
»Sind Sie bescheuert?«, rutschte es Rica heraus. »Selbst wenn jemand glauben sollte, dass ich in diesen Läden gewesen bin, das hätte ich doch niemals alles wegschaffen können. Ich hab schließlich auch nur zwei Hände!«
»Soll das heißen, dass du Komplizen hast?«, wollte der Polizist wissen, während er die Liste genauso umständlich wieder zusammenfaltete.
»Das soll heißen, dass Sie vollkommen auf dem falschen Dampfer sind«, schnappte Rica. »Ich hab nichts gestohlen. Ich war nie in diesen Läden. Ich war in der Schule. Wenn die Lehrer was anderes sagen, dann lügen sie.«
»Und warum sollten sie das tun?«, fragte der Polizist in einem väterlichen Tonfall, der Rica wütend machte. Aber gleich darauf wurde ihr klar, wie klug diese Frage war. Ja, warum sollten sie das eigentlich tun?
Rica überlief wieder ein eisiger Schauer, und sie wandte den Kopf ganz leicht, um Herrn Wolf anzusehen, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Er stand vor dem winzigen Bürofenster und tat so, als ob er nach draußen sehen würde. Aber als Rica sich zu ihm umdrehte, schenkte er ihr einen Blick über die Schulter hinweg. Ein Lächeln lag in seinen Augen, wenn er auch sonst keine Miene verzog.
Ich kann dir das Leben zur Hölle machen. Das habe ich dir versprochen, schienen diese Augen zu sagen.
Rica atmete tief durch. »Ich habe nichts geklaut«, sagte sie. »Und ich schwöre, ich war nie in diesen Läden. Ich weiß nicht, wer Ihnen diese Fotos gegeben hat, aber Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie sehen. Jemand möchte mich in Schwierigkeiten bringen, das ist alles.«
Sie hatte irgendeine Reaktion von Herrn Wolf erwartet, aber leichte Erheiterung bestimmt nicht. Er zog die Augenbrauen hoch, als wolle er sagen: Und das ist also alles, was du auf Lager hast?
Der Polizist grinste. »Ja sicher«, meinte er. »Lass dir sagen: Verschwörungstheorien werden dir hier kein Stück weiterhelfen. Es wäre besser für dich, wenn du uns sagst, wo das Diebesgut ist. So oder so müssen wir dich vor den Jugendrichter laden.
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