Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
zu einem der hinteren Plätze. Er würdigte sie keines Blickes. Erst jetzt wurde Rica klar, dass sie sich vermutlich bei ihm hätte bedanken müssen. Immerhin hatte er sie vor einem fahrenden Bus gerettet. Und sie? Sie hatte nicht einmal einen Hauch von Dankbarkeit gezeigt. Verunsichert drehte sie sich zu ihm um. Er saß ein paar Plätze weiter hinten, hatte das Gesicht zum Fenster gewendet und sah sie demonstrativ nicht an. Rica seufzte und drehte sich wieder um. Vielleicht hatte sie nachher die Gelegenheit, sich richtig zu bedanken.
Der Bus ruckte an, und ganz allmählich kehrten die Fahrgäste zu dem zurück, was sie vor dem Beinah-Unfall getan hatten. Ein paar wenige unterhielten sich. Die meisten hörten Musik, lasen, oder sahen einfach nur aus dem Fenster. Niemand schien so richtig mitbekommen zu haben, was da gerade passiert war, und nur wenige sahen ab und zu neugierig zu Rica herüber.
Ihr war das nur recht. Rica ließ sich tief auf den Sitz zurücksinken, schlug den Jackenkragen noch weiter hoch und versuchte, tief und ruhig zu atmen. Gerade eben war alles viel zu schnell gegangen, um richtig Angst zu haben. Sie hatte sich erschrocken, klar, aber das war es nicht, was sie jetzt empfand.
Angst.
Angst kroch in ihr Herz, in ihren Bauch, ja offensichtlich sogar in ihre Hände, denn sie begann, schrecklich zu zittern. Eine Kältewelle durchlief sie, ihre Finger fühlten sich an wie abgestorben, und auf einmal raste ihr Herz wieder wie wild.
Jemand hat versucht, mich umzubringen. Zum zweiten Mal diese Woche. Dieser Junge. Er hat an der Haltestelle gewartet, bis ich abgelenkt war, und dann hat er versucht, mich umzubringen.
Warum?
Es mochte eine geringe Chance geben, dass der Anzugträger recht hatte, und der Junge sich von ihr irgendwie zurückgewiesen gefühlt hatte. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, konnte sie das nicht glauben. Sie hatte kaum einen Blick oder Wort mit dem Jungen gewechselt. Er musste schon ziemlich psychopathisch sein, um daraus eine Ablehnung zu lesen. Insbesondere, da sie sich noch nie zuvor gesehen hatten.
Nein. Rica war klar, was da gerade passiert war. Das Institut. Jemand vom Institut hatte diesen Jungen beauftragt, um … Ja, was eigentlich? Um sie umzubringen? Gerade noch hatten sie versucht, ihr diese Diebstähle anzuhängen, um sie mundtot zu machen und jetzt das? Konnte das sein?
Zum ersten Mal seit Montag gestattete sie sich, über die Sache am Badesee nachzudenken. Sie hatte alles überspielt, ja verdrängt. Vielleicht, weil sie im Grunde gar nicht wahrhaben wollte, dass das Institut so weit gehen würde, ihr richtig zu schaden. Weil sie geglaubt hatte – glauben hatte wollen – dass Andrea und Patrick Einzeltäter waren.
Aber jetzt? Sie konnte die Sache von eben nicht wegdiskutieren. Und wenn sie akzeptierte, dass der Junge sie hatte töten wollen, dann musste sie sich auch eingestehen, dass sie am Montag schon hätte sterben sollen.
Wieder lief ein Schauder über Ricas Rücken. Sie zitterte, zog die Jacke enger um ihren Körper und konnte trotzdem nicht richtig warm werden. Jetzt sind sie einen Schritt weiter gegangen, war alles, was sie denken konnte, bis der Bus in die Haltestelle am Kaiserplatz einfuhr.
* * *
Hell.
Es war fürchterlich hell. Eliza blinzelte und versuchte, in der Helligkeit wenigstens irgendwas zu erkennen. Ihr Kopf schmerzte, und das Atmen fiel ihr schwer.
»Bist du okay?« Die Stimme schwebte aus dem Nichts heran, eine klare Frauenstimme, vielleicht auch die eines Mädchens. Rica? Wieder blinzelte Eliza, und langsam begannen sich schemenhafte Umrisse aus der Helligkeit zu schälen. Eine Frau in weißem Kittel. Ein Mann im Anzug. Krankenschwester, sagte ihr angeschlagenes Hirn. Und vielleicht ein Arzt. Wo bin ich? Im Krankenhaus?
»Mein Kopf tut weh«, brachte sie hervor. Ihre Zunge fühlte sich trocken und rau an, wie Sandpapier. Sie hatte schrecklichen Durst.
»Das ist nur eine Nebenwirkung«, sagte der Mann. »Das geht schnell vorbei. Kannst du dich aufsetzen … Eliza?«
Das kurze Zögern vor ihrem Namen sagte Eliza, dass er ihn offensichtlich irgendwo abgelesen hatte. Sie mochte diesen Mann nicht. Es war ihr nicht ganz klar, warum, aber allein der Klang seiner Stimme war ihr zuwider.
Sie schüttelte den Kopf, was einen Schwindelanfall auslöste, und blieb einfach liegen. Noch immer war das Licht um sie herum viel zu grell und stach in ihren Augen.
»Versuch es doch wenigstens.« Dieses Mal war es wieder die Stimme der Schwester,
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