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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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gelang es ihm, sich ein wenig zu beruhigen, und er brachte sein braves Pferd abermals zum Stehen. Es hatte ja keinen Sinn, einfach so aufs Geratewohl weiterzureiten. Unveränderlich zeigten und starrten die Figuren am Wegrand die Straße hinunter. Auch der Himmel über ihm wurde weder heller noch matter, sondern blieb wie für alle Zeiten funkelnd schwarz.
    Vielleicht hatten die zornigen Männer ja recht? Dann würde er die Frau im Brunnen niemals finden, egal wie lang er dieser Straße noch folgte. Aber Laurenz spürte, dass sie es waren, die ihn mit lügnerischen Erfindungen zu verwirren versuchten.
    Unschlüssig schaute er sich um. Am Wegrand fiel ihm nun eine Vielzahl von Löchern im Boden auf. Klares Wasser schimmerte darin, der Felsgrund schien geradezu durchsiebt. Zwischen den Wasserlöchern ragten die Sockel der Steinfiguren wie künstliche Inseln auf. Und in einem dieser Löcher bemerkte er nun gerade ein solches Wasserwesen wie jenes, das ihm vorhin oben am Strom begegnet war. Der schilfgrüne Kleine stützte sich mit dürren Ellenbogen auf den Rand. Seine Haare aus Schlick und Algen hingen ihm wie ein fadenscheiniger Schleier bis auf die Brust herab.
    Laurenz beugte sich zu ihm hinunter. »Ich suche …«, begann er, aber der Kleine schnitt ihm gleich das Wort ab.
    »Hinab, viel tiefer hinab!«, gurgelte er, hob seine dürren Ärmchen und versank im Wasserloch.
    Der junge Ritter beugte sich noch weiter aus seinem Sattel. Im Wasserspiegel erblickte er sich selbst und darunter, vermischt mit seinem eigenen Antlitz, eine höchst wundersame weitere Welt. Nachen glitten dort unten auf einem Fluss dahin, Kähne und Boote in unaufhörlicher Folge. In einem Nachen stand reglos ein Pferd mit schimmernd weißem Fell, das mit einem Netz aus dünnen schwarzen Linien überzogen war. In dem Kahn dahinter saßen eng zusammengedrängt ein ganzes Dutzend Frauen, mit langen Haaren, die sie offen wie Schleier oder zu Zöpfen geflochten trugen.
    »Dort muss ich hin«, rief Laurenz. »He, komm zurück!« Er sprang von seinem Pferd und warf sich neben dem Wasserloch auf die Knie. Aber es war viel zu eng für ihn. Mit dem Arm oder selbst mit seinem Kopf hätte er sich hineinzwängen können, aber von den Schultern abwärts war er für den schmalen Schacht zu breit gebaut. Und das Schilfwesen ließ sich nicht noch einmal sehen, wie wütend er auch mit seinen Händen im Wasser rührte.
    Bis zu den Ellbogen waren seine Ärmel durchnässt, als Laurenz sich neuerlich auf seinen Rappen schwang. Um zur Frau im Brunnen zu gelangen, musste er dort hinunter, so viel stand fest. Aber wie er diese Unterwelt erreichen könnte, das wusste er so wenig wie vorher. In verdrießlicher Stimmung ritt er weiter die Allee entlang. In seinem Innern begann sich geradezu ein Hass auf die Steinfiguren zu regen, auf ihre gefrorene Andacht und ihre unaufhörlich die Straße hinunterdeutenden Zeigefinger. Lag da nicht ein heuchlerischer Zug in ihren Gesichtern, so als ob sie alle im Grunde wüssten, dass am Ende dieser Prachtallee überhaupt nichts Staunenswertes war?
    Kunstvoll gemeißelte Lügen, dachte Laurentius Answer und gerade in diesem Moment brach die Straße unter ihm ein. Ein schmales Felsstück, eben groß genug, dass der Rappe mit allen vier Hufen darauf Platz fand, löste sich aus dem Boden und fiel lotrecht in die Tiefe. So schreckensstarr, als ob sie ihrerseits zu Skulpturen versteinert wären, verharrten Laurenz und sein Pferd auf dem stürzenden Bruchstück, das mit seinem gezackten Rand und der länglichen Schweifform ein wenig wie eine Sternschnuppe aussah. Unter ihnen strömte der breite Fluss dahin, den Laurenz vorhin durch das Wasserloch erblickt hatte. Kähne und Nachen glitten in unaufhörlicher Folge vorüber, ein Gewimmel kleiner Boote und dann ein gewaltig großes Floß, auf dem Laurenz mitsamt Fels und Pferd zu landen kam. Es bestand aus einer Vielzahl mächtiger Baumstämme, die mit armdicken Seilen zusammengebunden waren. Dennoch wurde es durch den Aufprall tief ins Wasser eingetaucht, und die Passagiere mussten Augenblicke lang mit den Armen rudern und einige kleinere Gepäckstücke einfangen, die über Bord schlingern wollten. Jedoch schien sich niemand über Laurenz’ plötzliches Erscheinen zu erbosen oder auch nur zu verwundern, von allen Seiten lächelten Männer wie Frauen ihrem neuen Mitreisenden aufmunternd zu.
    Nur der Flößer, ein hochgewachsener Mann mit wallendem Bart, der im immergleichen Rhythmus seine Stange

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